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Das marode Schienennetz der Bahn
Wer in den letzten Wochen mit der Deutschen Bahn im ICE unterwegs war, hatte gute Chancen auf eine desaströse Fahrt. Denn es blieb nicht bei den inzwischen üblichen Verspätungen. Verbindungen fielen komplett aus, Züge beendeten die Fahrt vor dem Zielbahnhof, Reisende suchten nach Anschlusszügen, in denen die ursprüngliche Reservierung natürlich nicht mehr gültig war. Chaos pur.
Dieses Desaster kommt nicht von ungefähr. Die Bahn wurde in den letzten 20, 30 Jahren kaputtgespart. Währenddessen sind die Netze der Autobahnen auf 13.192 km und der Bundesstraßen auf 38.000 km unaufhörlich gewachsen, von den Kreis- und Ortsstraßen ganz zu schweigen. Allein die Bundesstraßen sind also in etwa so lang wie die Bahnstrecken.
Das Schienennetz ist in einem schlechten Zustand. Während es in der letzten 25 Jahren um etwa 15 % auf 38.400 km geschrumpft ist, wird gleichzeitig immer mehr Verkehrsleistung darüber abgewickelt. 2019 waren schon 100 Mrd. Personenkilometer und 130 Mrd. Tonnenkilometer im Güterverkehr. Erst 61 % des Netzes sind elektrifiziert, laut Bundesregierung sollen es 2030 bereits 75% Prozent ein. Dann müsste das aktuelle Tempo von 65 km Elektrifizierung pro Jahr allerdings auf 500 km jährlich gesteigert werden. Auch bei Digitalisierung geht es zu langsam voran, so dass das Ziel verfehlt werden dürfte, bis 2035 die kom-pletten Bundesschienenwege mit dem European Train Control System (ETCS) auszurüsten.
Im vergangenen Jahr sind die Investitionen des Bundes in die deutsche Schieneninfrastruktur deutlich gestiegen, auf 124 Euro pro Einwohner hat die Bundesrepublik. 2020 hatten die Pro-Kopf-Ausgaben für die Schiene noch bei 88 Euro gelegen. Aber damit liegt die Deutsche Bahn bei dieser Kennziffer immer noch hinter der Schweiz zurück mit jährlichen 413 Euro, Österreich mit 271 Euro oder Norwegen mit 315 Euro Pro-Kopf-Investitionen. Diese Länder lassen sich das umweltfreundliche und klimaschonende Verkehrs-mittel Bahn also deutlich mehr kosten.
Bahnchef Lutz gelobte nun Besserung und stellte für die Zukunft ein „Hochleistungsnetz“ in Aussicht, das ab 2024 bis 2030 realisiert werde. Bis 2024 stünden Kurzfristmaßnahmen, Reparaturen und die weitere Planung auf der To-Do-Liste.
Besserung ist also in Sicht für die Schiene, die zeitliche Perspektive ist allerdings ernüchternd. Im Klartext heißt das, dass wir uns noch acht Jahre mit einer schlecht funktionierenden Bahn herumärgern müssen. Verkehrsminister Wissing (FDP) musste nach dem Amtswechsel feststellen, dass ihm seine Vorgänger als Verkehrsminister, allesamt von der CSU, ein marodes Netz und einen störanfälligen Bahnbetrieb hinter-lassen haben.
In diesem Zustand ist die Bahn jedenfalls nicht attraktiv für Umsteiger und nicht konkurrenzfähig zum Auto oder zum Flugzeug. Momentan brauchen die Bahnkunden auch kein „Hochleistungsnetz“, sondern ein normal funktionierendes. Da ist schlicht effizientes Baustellen- und Krisenmanagement angesagt. Anfang Juni 2022, so hat Der Spiegel ermittelt, bestanden 331 „Langsamfahrstrecken“ wegen Bauarbeiten oder Mängeln bei Gleisbett, Schienen, Weichen oder Brücken. Und besonders ärgerlich: 225 dieser Mängel existieren schon mehr als einen Monat, 40 gar mehr als ein Jahr.
Der Autoverkehr war jahrzehntelang auf der Überholspur unterwegs und genoss bei den Verkehrspolitikern hohe Priorität, so dass die Bahn kaum eine Chance hat, diesen Vorsprung in den nächsten 10 Jahren aufzuholen. Denn nicht nur das Schienennetz liegt im Argen, es ist das Gesamtsystem: Bahnhöfe wurden verkauft, Gütergleise von Gewerbebetrieben zurückgebaut, die Anlieferungsstellen für Bahngüter stark reduziert, Güterwaggons fahren mit vorsintflutlicher Technik. Ein Blick auf die Schweiz lohnt, denn er zeigt, wie es besser geht (trotz unwegsamem Gelände). Im Sinne einer Verkehrswende wäre es notwendig, jetzt alle Mittel und Ressourcen im Personen- und Güterverkehr auf die Schiene zu konzentrieren und parallel den weiteren Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen zu stoppen. Es wäre zugleich eine lang-fristig wirkende Klimaschutz-Maßnahme. Aber auch die neue Bundesregierung mit Verkehrsminister Wissing scheint zweigleisig fahren zu wollen. Allerdings darf bezweifelt werden, ob die Bahn in diesem Fall, selbst bei (leicht) verbesserten Rahmenbedingungen, eine realistische Chance im Konkurrenzkampf um den Personen- und Gütertransport hat. (rk, Juli 2022)
Quellen:
"Marode Strecken im Fokus“, www.tagesschau.de, 16.07.2022
Website www.allianz-pro-schiene.de
"Ich leide wie ein Hund", Balser/Hägler, Süddeutsche Zeitung, 30.06.2022
"Schleichen nach Plan“, Reiber/Stotz, Der Spiegel, 16.07.2022