Kommentare


Mit Spannung erwartet, jetzt liegt er vor: der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD mit dem Titel “Verantwortung für Deutschland“ als Grundlage der künftigen Regierungsarbeit. Dass der Abschnitt zu „Klima und Energie“ (8 von insgesamt 144 Seiten) kurz ausfällt und einem Kapitel zur Wirtschaft untergeordnet sind, lässt sich durchaus als Hinweis auf die Prioritäten der künftigen Regierung verstehen.
Was bringt diese schriftliche Übereinkunft, die auch bei den übrigen Themen weniger konkret ausfällt als die der letzten Regierung für den Klimaschutz?

Pluspunkte sind:
o das Festhalten an deutschen und europäischen Klimazielen, bei letzterem allerdings unter Vorbehalt hinsichtlich dem Zieljahr 2040 (möglicherweise, weil die EU ein Minus von 90 % gegenüber 1990 will, das deutsche KSG aber nur 88% fordert)
o das Festhalten auch am Pariser Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad und an der Klimaneutralität 2045
o das Weiterführen und die Weiterentwicklung der CO2-Bepreisung
o Die Einführung von „Klimageld“ als soziale Maßnahme wird zwar nicht erwähnt, aber die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sollen an die Bürger zurückgegeben werden.
o Fortführung des Deutschlandtickets
o Zusätzliche Investitionen in den Schienenverkehr
o Insbesondere beim Verkehr und beim Wohnen sind Entlastungen der Bürger vorgesehen.
o Bekenntnis zum Ausbau der erneuerbaren Energien, allerdings steht der EE-Ausbau unter dem Vorbehalt des entsprechenden Netzausbaus (was sich als Hemmschuh erweisen könnte)
o Förderung von Wärmenetzen und verstärkte Nutzung der Tiefen-Geothermie
o Stromkosten sollen sinken > notwendig auch für den Zuwachs an Wärmepumpen und E-Autos
o „systemdienliches“ Speichern und Entladen von Stromspeichern als Ziel
o Die finanzielle Förderung von Gebäudesanierung und Heizanlagen soll fortgesetzt werden

Minuspunkte sind:
o Das „Heizungsgesetz“ soll weg > Damit gerät die von Habeck eingeleitete Wärmewende zur klimafreundlichen Gebäudeheizung in Gefahr.
o Erhöhung der Pendlerpauschale
o Die Verstromung der schmutzigen Braunkohle soll bis 2038 möglich sein. Das ist insofern unklug, als sich Kohlekraftwerke aufgrund der europäische Emissionsabgaben immer weniger auf dem Markt behaupten können und beim Brennstoffwechsel von Kohle auf Erdgas viel CO2 eingespart werden kann.
o Erhalt des Erdgasnetzes, Ausbau der Gasförderung im Inland
o Massiver Ausbau von Gaskraftwerken > nur negativ, wenn nicht in gleichem Umfang Kohlekraftwerke abgeschaltet werden
o Festhalten am Bundesverkehrswegeplan > Der geht allerdings von einem Zuwachs des KfZ-Verkehrs aus, auf die den Infrastruktur anzupassen wäre, gleichbedeutend mit einem Mehr an Bundesfern-)Straßen.
o Die LKW-Maut zur Finanzierung der Schienen-Infrastruktur entfällt.
o Bei Neubauten soll auch der suboptimale Standard des Effizienzhauses 55 (EH-55) wieder gefördert werden.
o Die Landwirtschaft soll beim künftigen Europäischen Emissionshandel (ETS 2) außen vor bleiben. Das ist, ebenso wie geplante Steuer- und Preissenkung für den Agrardiesel, kontraproduktiv für den Klimaschutz.
o Die Kompensation deutscher Treibhausgas-Emissionen soll in geringem Umfang im Ausland außerhalb Europas möglich sein
o Ausbau der Möglichkeiten zum Abspeichern von Kohlendioxid (CCS), künftig auch an Land, wenn „geologisch geeignet und akzeptiert“.
Zwischenfazit
Ganz kritisch wird es beim Auto und Flugverkehr. Da die Emissionssektoren Verkehr und Gebäude (bzw. deren Versorgung mit Wärme) wiederholt die Limits des Klimaschutzgesetzes überschritten haben, wären hier Minderungsmaßnahmen besonders wichtig gewesen. Leider Fehlanzeige. Es ist äußert zweifelhaft, ob mit dieser Agenda die viel zu hohen CO2-Emissionen im Verkehrssektor gesenkt werden können. Beim Flugverkehr ist nicht nur die Förderung der defizitäre Regionalflughäfen vorgesehen, darüber hinaus soll das Fliegen durch die Senkung der Luftverkehrssteuer und anderen Maßnahmen generell billiger werden. Das ist unverständlich und für das Klima extrem schädlich. Wesentliche Impulse für eine klimafreundliche Mobilität, für eine Verkehrsverlagerung von der Straße zur Schiene und vom motorisierten Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel sind nicht zu erkennen. Steuerliche Anreize und Leasingmodelle werden wohl keinen Kaufboom bei E-Autos auslösen. Vom Verbrenner-Aus ist in dem Papier ohne hin keine Rede.
Auch bei weiterem Zuwachs an Wind- und Solarkraft wird ein Erzeugungslücke beim Strom bleiben, zumal der Verbrauch in den nächsten Jahren noch steigen wird. Gaskraftwerke dienen also der Versorgungssicherheit und tragen zum Klimaschutz bei, wenn Kohle durch Erdgas ersetzt wird. Allerdings werden sie nicht rund um die Uhr laufen, weil dieser Strom nicht billig sein wird. Zusätzliche Abscheidung von CO2 (CCS) würde ihn noch teurer machen. Deshalb sieht Felix Matthes vom Ökoinstitut diese Option als unrealistisch an, desgleichen die Idee im Koalitionsvertrag, die jetzigen Reservekraftwerke taugten zur Senkung der Strompreise.

Ein Schritt vor, ein Schritt zurück
Die Absicht, Energiekosten zu senken und kosteneffizient Treibhausgase zu reduzieren, ist deutlich erkennbar. Damit fällt vernünftigerweise auch der im Wahlkampf ins Spiel gebrachte Wiedereinstieg in die Atomkraft weg. Andererseits tauchen Techniken und technische Systeme mit schlechten Kosten/Nutzen-Verhältnis im schwarz-roten Vertrag auf. Das gilt für die Magnetschwebebahn, für „grüne“ Gase, den Erhalt des weitverzweigten Erdgasnetzes, die CO2-Nutzung und auch teilweise für die künftige Wasserstoffinfrastruktur.
Schlussendlich wird keine zielführende Strategie zur mittel und langfristigen Minderung der Treibhausgase sichtbar, insbesondere nicht im Hinblick auf die Jahre nach dieser Legislatur und die Klimaschutzziele 2030, 2040 und 2045. Damit wird das Bekenntnis zu ihnen allerdings unglaubwürdig.
Der Koalitionsvertrag macht nicht deutlich, wie erforderliche Absenkung der Treibhausgase im notwendigen Tempo erreicht werden soll. Unausgesprochen scheint man mit dem klimapolitischen Scheitern schon zu rechnen, wie die Pläne zu CCS (auch onshore), zu negativen Emissionen und zur (außereuropäischen) CO2-Kompensation zeigen. Da sollen Trampelpfade zu Straßen ausgebaut werden.
Eine Sprecherin von Fridays for Future kommt zu folgender Bewertung: „Union und SPD haben die Klimakrise nicht als die zentrale Bedrohung begriffen, die sie darstellt“. Otmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) weist hingegen auf die positiven Punkte hin und meint, es hätte „alles viel schlimmer kommen können.“ Da hat er wohl recht, vergisst aber den Hinweis, dass bei einer Regierungsbeteiligung von Bündnis 90/Die Grünen oder Der Linken wahrscheinlich mehr drin gewesen wäre für den Klimaschutz. Union und SPD könnten die Kritik der Klimaschützer mit dem Hinweis auf den Wählerwillen kontern. Klimaschutz wurde nicht bestellt, wird also auch nicht geliefert. Damit kehrte die neue schwarz-rote Regierung freilich zur lang gepflegten Unsitte der Großen Koalition zurück: große Ziele, aber zu wenig zielführende Maßnahmen. Ist das „Verantwortung für Deutschland“? (rk)

Quellen:
„Das Heizungsgesetz soll weg“, Michael Bauchmüller, Süddeutsche Zeitung, 13.04.2025
„Die Fortschritte fürs Klima im Koalitionsvertrag- und die Rückschritte“, Götze/Haitsch/Stukenberg, Der Spiegel, 12.04.2025
Pressemitteilung, Agora Energiewende, 09.04.2025
„Wie halten es Union und SPD mit dem Klima?“, www.tagesschau.de, 11.04.2025
„Mehr Geld für alles“, Vivian Timmler, Süddeutsche Zeitung, 15.04.2025
„Warum die neue Regierung die Klimaziele wahrscheinlich reißen wird“, Susanne Götze, Spiegel-Newsletter, 13.04.2025

klimaseite.info, 07.02.2025

klimaseite.info, 14.02.2025

klimaseite.info, 01.10.2024

klimaseite.info, 19.09.2024

klimaseite.info, 21.08.2024

Quellen:

„Gütertransport. Schleichfahrt durch Deutschland“, Der Spiegel Nr. 29, 19.07.2024

„Da ist eine Qualität des Umgangs, die kenne ich bisher noch nicht“, Interview mit Ingo Worthmann (MVG), Süddeutsche Zeitung, 16.07.2024    

Das Zitat:

Ein Land, dessen Bevölkerung nicht mehr wächst, muss den Flächenverbrauch für Verkehrsinfrastruktur stoppen. Wenn überhaupt noch neue Verkehrsflächen geschaffen werden, muss an anderer Stelle die gleiche Hektarzahl entsiegelt und naturnah gehalten werden.“

Hartmut Graßl, 07.09.2021, in: www.klimareporter.de

klimaseite.info, 10.06.2024

klimaseite.info, 03.06.2024

klimaseite.info, 25.05.2024

klimaseite.info, 16.04.2024

klimaseite.info, 16.04.2024

Quellen:

„Gemeinsam seid ihr stark“, Wolfgang Janisch, „Der Kampf geht weiter“, Isabel Pfaff, Süddeutsche Zeitung, 10.04.2024                             

klimaseite.info, 19.03.2024     

klimaseite.info, 13.01.2024

klimaseite.info, 15.01.2024

klimaseite.info, 10.10.2023

klimaseite.info, 11.07.2023