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klimaseite.info, 29.06.2024

Nach Umsatzeinbruch der Pandemiejahre erholt sich die Kreuzfahrtbranche wieder. Letztes Jahr waren fast drei Millionen Deutsche auf großer Fahrt. Da in den letzten Jahren das Bewusstsein für die Klimakrise weiter gewachsen ist, sind Unternehmen und Reiseveranstalter sehr um ein grünes Image bemüht. Es gilt, den ramponierten Ruf der Kreuzfahrten aufzubessern. Die Internationale Seefahrtorganisation hat denn auch das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ausgegeben. In 26 Jahren klimaneutral? Davon ist man aktuell nicht bloß nach Jahren weit entfernt. Das hindert die Branche aber nicht daran, unverdrossen Erfolgsmeldungen abzusetzen, wie etwa bei der Jungfernfahrt von „Mein Schiff 7“ der TUI Cruises, die „unvergessliche Genussmomente“ verspricht und stolz darauf verweist, das Schiff, ausgelegt für 2.900 Gäste, werde künftig „mit grünem Methanol“ betrieben.

Die Gegenwart ist allerdings eher trist und grau. Momentan fährt das Schiff mit einem fossilen Treibstoff, nämlich Marinediesel, einem fossilen Treibstoff, bei dessen Verbrennung im Motor jede Menge Treibhausgasgase frei werden. Häufiger als der Marinediesel kommt in der Schifffahrt das schmutzigere Schweröl zum Einsatz, schlicht deshalb, weil es billiger ist. Die entstehenden Luftschadstoffe sind allerdings ein großes Problem. Denn bei diesem Treibstoff gehen Ruß, Feinstaub, Stickoxide und Schwefelverbindungen durch den Schornstein, es sei denn, sie werden durch sogenannte „Scrubber“ ausgewaschen. Wenn diese Brühe allerdings einfach ins Meer abgelassen wird, wie das nach häufig geschieht, leidet die Umwelt trotzdem. Zwar verfügt ein Großteil der Kreuzfahrtschiffe tatsächlich über solche Scrubber, aber nur ein Teil entsorgt die Waschflüssigkeit ordnungsgemäß an Land. Momentan ist es nicht weit her mit sauberen Antrieben und Treibstoffen, denn auch bei TUI Cruises liegt der Schweröl-Anteil bei 65 %, bei der Branchengröße MSC sogar bei 75 %.

Beim TUI Schiff 7 sind im Maschinenraum zwar einige Rohleitungen für Methanol installiert, aber die für diesen Treibstoff vorgesehenen Viertaktmotoren befinden sich noch in der Entwicklung und werden wohl erst Anfang 2026 eingebaut. Sollte sich diese Technik bewähren, überlegt man bei TUI, die Schiffe 1 bis 6 entsprechend umzurüsten. AIDA Cruises fährt mit Flüssigerdgas, das zwar weniger Luftschadstoffe verursacht als die Diesel-Variante, aber ebenfalls das Klima schädigt. Beide Unternehmen hatten ursprünglich ambitioniertere Klimaziele: Klimaneutralität bis 2040. Inzwischen will man sich aber bis 2050 Zeit lassen. Das Unternehmen MAERSK, dessen Containerschiffe Güter auf allen Weltmeeren transportieren, ist an dieser Stelle ehrgeiziger und bleibt bei 2040 als Zieljahr für die Klimaneutralität.

Großtechnisch stammt Methanol als wichtiger Grundstoff der chemischen Industrie überwiegend aus fossilen Quellen. Ausgangspunkt ist eine Mischung aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff als Synthesegas. „Grünes“ Biomethanol aus Pflanzenresten (Zuckerrohr) wird in Brasilien häufig als Fahrzeug-Treibstoff verwendet. Auch die Produktion von (dann klimaneutralem) Methanol aus Wasserstoff (via Elektrolyse mit Ökostrom) und Kohlendioxid ist möglich. Da es Methanol bereits Motoren antreibt, dürfte die Umsetzung auf die Anforderungen eines Kreuzfahrtschiffs kein Hexenwerk sein.

Der springende Punkt ist jedoch der Preis für den Treibstoff. Denn die Reedereien sind in einem harten Wettbewerb, der sie zwingt, genau zu überlegen, welchen Anteil der Mehrkosten sie den Kunden zumuten können. Gleichzeitig geht der Kreuzfahrt-Trend zu größeren Schiffen. TUI plant mit der „Intuition“ Serie für 4000 Passagiere. Klimawandel hin oder her – die Branche setzt auf Expansion und eine gute PR. Die Minderung der Treibhausgase hält allerdings nicht Schritt mit dieser Entwicklung und die Klimaneutralität lässt ohnehin noch lange auf sich warten. Somit ist aus Sicht des Klimaschutzes für die nächsten 10 Jahre von der Buchung einer Kreuzfahrt abzuraten.  Immer mehr Bewohner von Küstenstädten, die unter dieser Form des Massentourismus leiden, sehen das ähnlich. (rk)   

Quellen:

„Gesucht: klimaschonende Kreuzfahrten“, Lea Hampel/Sonja Salzburger, Süddeutsche Zeitung, 22./23.06.2024

 „Pack das Methanol in den Tank – irgendwann“, Antje Blinda, Spiegel online, 23.06.2024    

www.klimaseite.info, 20.06.2024

Die Regierungskoalition ist sich wieder mal uneinig. Diesmal geht es darum, wie das Geld in den nächsten Jahren zu verteilen ist. Seit Wochen wird über Wirtschaftshilfen und ein Investitionspaket der Bundesregierung diskutiert, um der schwächelnden Konjunktur auf die Beine zu helfen. Nachdem letztes Jahr das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,2 Prozent zurückging, stimmen die jüngsten Prognosen von Wirtschaftsforschern zwar etwas optimistischer. Drei Institute rechnen für 2024 mit einem Zuwachs des BIP zwischen 0,2 und 0,4 Prozent. Wenn es mehr sein soll, müssen jedoch zusätzlich staatliche Mittel eingesetzt werden, um die privaten Investitionen anschieben.

Vorbild könnte die USA sein, denn die Biden-Regierung hat im August 2022 ein riesiges Investitionsprogramm zum Ausbau von Infrastruktur, erneuerbaren Energien und Klimaschutz gestartet, das sich jetzt auszahlt, und auf das Wirtschaftsminister Habeck neidvoll blicken dürfte. Mit dem amerikanischen „Inflationsbekämpfungsgesetz“ werden 370 Mrd. Dollar für Energiesicherheit und Klimaschutz, außerdem 64 Mrd. Dollar für das Gesundheitswesen bereitgestellt: die „größte Investition gegen Erderwärmung in der US-Geschichte“ laut Tagesschau. Der Spiegel resümiert: „Der Inflation Reduction Act“ (IRA) hat zu einem massiven Anstieg der Investitionen in grüne Technologien in den USA geführt.“

Staatliche Töpfe sind leer

Und die Bundesregierung? Die fest eingeplanten 60 Mrd. Euro aus dem Topf nicht abgerufener Corona-Gelder konnten nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) überführt werden. Das Gericht sah hier die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse tangiert. Die Bundesregierung hat dann noch ein Bruchteil dieser Summe für Klimaschutzmaßnahmen, insbesondere Fördermittel für Heizungsumstellung und energieeffiziente Gebäude, für klimafreundliche Stahlproduktion, den Bau von Akkuspeicher- und Chipfabriken zusammengekratzt, wobei letztere nicht zwingend unter Klimaschutz zu subsummieren sind. Denn der KTF, aus dem auch Mittel für den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft flossen, ist zur eierlegenden Wollmilchsau geworden, aber dafür mittlerweile nicht genügend ausgestattet. Finanzminister Lindner aber will weder neue Steuern, noch will er neue Kredite aufnehmen und beharrt auf der Einhaltung der Schuldenbremse. Auf der anderen Seite werden die Rufe nach einen Konjunkturprogramm immer lauter; von Seiten der Wirtschaftsforscher, wie auch aus der Wirtschaft. 

Der Vorschlag der Industrie

Der Bundesverband der deutschen Industrie BDI schlägt nun ein Investitions-Paket von 400 Mrd. Euro verteilt auf 10 Jahre vor. Bei diesen Maßnahmen geht es bei weitem nicht nur industriespezifische Aspekte, sondern um eine breite Palette von Industriehilfen, Klimaschutz, Infrastrukturmaßnahmen und -man höre und staune- auch in die Bildung sollen Milliarden Euro fließen. Das sind Investitionen in die Zukunft und der BDI hat offensichtlich verstanden, dass es angesichts des Fachkräftemangels nicht angehen kann, dass 12 Prozent der Schulkinder die Schule ohne Abschluss verlassen, um nur eines die vielen Probleme im deutschen Bildungssystem zu benennen. Und so sollen die Investitionen eingesetzt werden:   

  • 101 Mrd. Euro im Bildungssektor
  • 158 Mrd. Euro in Verkehrsinfrastruktur (Schienen- und Straßenverkehr), davon allein 64 Mrd. Euro in den Ausbau des ÖPNV
  • 56 Mrd. Euro Gebäude und Wohnen (sozialer Wohnungsbau, Sanierung, Fernwärme etc.)
  • 23 Mrd. Euro Dekarbonisierung der Wirtschaft und grüne Technologien
  • 18 Mrd. Euro für Tank-, Ladeinfrastruktur und grüne Kraftstoffe
  • 20 – 40 Mrd. Euro für wirtschaftliche Unabhängigkeit bei Schlüsseltechnologien (Batterie, Mikroelektronik)      

Finanziert werden sollen diese rund 400 Mrd. Euro durch ein Sonderprogramm außerhalb des regulären Haushalts, ähnlich wie die 100 Mrd. Euro für Bundeswehr, Rüstung und nationale Sicherheit, also durch neue Schulden, die aber nicht unter die per Grundgesetz abgesicherte Schuldenbremse fallen. Finanzminister Lindner sperrt sich dennoch. Die Frage ist, wie lange noch seinen Widerstand durchhält. Das dürfte ein Thema bei den aktuellen Verhandlungen zum Haushalt 2025 werden.

Muss die Wirtschaft jetzt in die Presche springen?

Zwar hat der Sektor der Wirtschaft in den letzten Jahren das Limit des Klimaschutzgesetzes (KSG) nicht überschritten, aber Unternehmen und Verbände wissen, dass noch viel CO2 einzusparen ist bis zum Ziel der Klimaneutralität. Und sie müssen wohl auch einen zusätzlichen Beitrag für die Sektoren Gebäude und Verkehr liefern, die die Messlatte des KSG letztes Jahr erneut gerissen haben. Denn das kürzlich novellierte Klimaschutzgesetz erlaubt diese Quer-Verrechnung, die man „Lastenteilung“ nennen, aber auch als Abschieben der Verantwortung bezeichnen könnte. (rk) 

Quellen:

„Wirtschaftsforscher blicken zuversichtlicher auf die Konjunktur“, Der Spiegel online, 13.06.2024

„Industrie fordert Milliardentöpfe gegen Investitionstau“, Der Spiegel online, 12.06.2024

„Lindner gehen die Unterstützer aus“, Süddeutsche Zeitung, 13.06.2024

„Kongress verabschiedet Klima- und Sozialpaket“, tagesschau.de, 13.08.2022

„USA erleben Boom bei grünen Technologien, Der Spiegel online, 29.05.2024

klimaseite.info, 12.04.2024

Auch wenn das die verbliebenen 20.000 Beschäftigten der Branche nicht gern hören wollen: Der Ausstieg aus der Kohleverstromung ist der Schlüssel für Deutschland, die nationalen Klimaschutzziele für das Jahr 2030 zu erreichen, denn laut Umweltbundesamt macht die Kohlekraft 70 Prozent der CO2-Emissionen der Stromerzeugung aus. Zwar ist der Strom ist nur eine Energieform und Treibhausgase kommen aus mehreren Emissionssektoren, fossile Energieträger werden auch verbrannt in Motoren, Turbinen, Heizungen oder reinen Heizkraftwerken, aber an der Schlüsselstellung der Kohle ändert das nichts. Der hohe Emissionsanteil der Kohle ist auch insofern bemerkenswert, als Braunkohle und (importierte) Steinkohle in 2023 etwa ein Viertel zur gesamten Stromerzeugung beitrugen. Dieses ungünstige Verhältnis kommt nicht von ungefähr, denn die Energieerzeugung aus Stein- und erst recht aus Braunkohle führt zu sehr hohen CO2-Emissionen pro Kilowattstunde Strom, von den ebenfalls emittierten Luftschadstoffen gar nicht zu reden: Braunkohle: 1.137 g/kWh, Steinkohle 853 g/kWh gegenüber Erdgas 381 g/kWh. Die Verstromung von Braunkohle, von Greenpeace als der „schmutzigste Brennstoff der Welt“ bezeichnet, verursacht also fast dreimal so viel CO2 wie aus Erdgas. Zum Vergleich: Strom aus erneuerbaren Energien liegt bei den Emissionsfaktoren, ob aus Wasser-, Windkraft oder Photovoltaik, weit unter 100 g/kWh.

Gaskraft als das kleinere Übel

Darum wäre ein Ersatz von Kohlekraft- durch Gaskraftwerke mit einer nicht unerheblichen Einsparung an CO2 verbunden. 2018 war das letzte Jahr des Steinkohleabbaus in Deutschland, die Zechen wurden geschlossen. Wird 2030, wie von den Grünen gefordert, die Kohleverstromung eingestellt? Wann stehen die riesigen Schaufelbagger, die im Braunkohle-Tagebau enorme Löcher in die Landschaft reißen, still? Im Koalitionsvertrag hatten sich die drei Parteien der Ampelkoalition noch auf ein unverbindliches „idealerweise“ geeinigt, aber die Gesetzeslage fordert den Ausstieg erst mit Ablauf des Jahres 2038. Das Umweltbundesamt stellt jedoch unmissverständlich klar, dass der Kohleausstieg bis 2030 erforderlich ist, damit die Treibhausgase entsprechend dem Klimaschutzgesetz bis 2030 um 65 % reduziert werden können. In diesem Zusammenhang sind die Emissionen aus der Energieerzeugung zu halbieren. 

Aktuell ist jedoch auch klar, dass die erneuerbaren Energien (EE) die Lücke, die die Kohlekraft hinterlässt, nicht komplett schließen können, schon gar nicht bis 2030. Die Bundesregierung hat ein Ökostromziel von „nur“ 80 % vorgegeben und selbst das wird nicht leicht zu erreichen sein. Um den voraussichtlichen Strombedarf in sechs Jahren zu decken, der vermutlich um ein Drittel größer sein wird als die 450 Mrd. kWh von 2023, muss die Gasverstromung hochgefahren werden, zum einen zur Abdeckung der nötigen Strommengen, zu anderen zum Lastausgleich und zur Abdeckung der Nachfragespitzen im Süden. Denn gerade, wenn Stromspeicher fehlen und das Übertragungsnetz noch kräftig ausgebaut werden muss, geht es nicht nur um die bloße Strommenge. Gaskraftwerke können schneller hochgefahren werden und flexibler auf Engpässe reagieren als Kohlekraftwerke. Insofern drängt der Austausch der Reservekapazitäten gerade auf. Die Prognosen gehen allerdings auseinander, wie viele Gaskraftwerke mit welcher Leistung bis 2030 entstehen müssen. Das Energiewirtschaftliche Institut in Köln gibt 23 Gigawatt an, BDI Präsident Russwurm hält einen Zubau von 43 Gigawatt für notwendig, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Marktdurchdringung wird wesentlich vom Preis für Erdgas und vom CO2-Preis im europäischen Zertifikatehandel abhängen.    

Ökostrom wichtiger als Kohlestrom

2022 hatte die Kohlekraft noch einen Anteil von 33,2 % an der Stromerzeugung, wurde aber bereits damals vom Strom aus erneuerbaren Quellen mit einem Anteil von 46,3 % überflügelt. Ein ähnliches Bild bot sich 2023, dem bisherigen Rekordjahr der Ökostromerzeugung, mit einem EE-Stromanteil von 56,0 %, während der Kohlestromanteil auf 26,1 % sank. Nach einer im Internet verfügbaren Liste das Umweltbundesamts sind momentan noch 68 reine Braun- und Steinkohlekraftwerke mit einer Bruttoleistung von 36,5 Gigawatt in Betrieb. Laut Kohleausstiegsgesetz von 2020 soll die Kohle-Kraftwerksleistung 2022 auf 30 GW und 2030 auf 17 GW reduziert werden, der Ausstieg ist allerdings erst für Ende 2038 vorgesehen.

Große Energieversorger orientieren sich bereits neu. EnBW will bis Ende 2028 aus der Kohleverstromung aussteigen und investiert verstärkt in EE, so wie RWE. Diese Investitionen tragen nicht zur CO2-Minderung bei, sondern versprechen auch wirtschaftlichen Ertrag. Eine Studie über Kohlekraftwerke in über 70 Ländern kommt zu dem Ergebnis, dass 2.300 von 2.500 dieser Kraftwerke gewinnbringend ersetzt werden könnten, da Solarstrom und Windstrom fast überall günstiger zu produzieren sei. Auch für Deutschland wird bei der Investition von 120 Mrd. Euro für Photovoltaikanlagen, große Batteriespeicher und Windräder ein dickes Plus von 550 Mrd. Euro nach 30 Jahren prognostiziert. Mithin ist der Kohleausstieg aus der Sicht des Klimaschutzes und der Wirtschaftlichkeit geboten.  (rk) 

Quellen:

„Raus aus der Kohle – und dann?“, Nakissa Salavati, Süddeutsche Zeitung, 05.04.2024  

„Stromerzeugung 2023“, Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 087 vom 07.03.2024

„Entwicklung der spezifischen Treibhausgas-Emissionen des deutschen Strommix in den Jahren 1990 – 2022“, Climate Change, 20/2023,

Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau, Mai 2023

„Erneuerbare Energien deckten 2023 erstmals mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs, Pressmitteilung, bdew.de, 18.12.2023

„Kohlekraftwerke ersetzen lohnt sich“, tagesschau.de, 30.11.2023

„Treibhausgasminderung um 70 Prozent bis 2020: So kann es gehen!“, Positionspapier des Umweltbundesamts, September 2021

klimaseite.info, 22.03.2024

Die Bilanz der Weltwetterorganisation WMO für 2023 beunruhigt. WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo rief anlässlich der Präsentation des Berichts die „Alarmstufe Rot“ aus. Zum einen wurde ein Anstieg der globalen, mittleren Oberflächentemperatur um 1,45 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau gemessen. Damit wurde letztes Jahr das untere Limit, das sich die UN- Klimakonferenz 2015 in Paris setze, fast erreicht, wobei sich dieses Ziel auf den langjährigen Durchschnitt, nicht auf ein einzelnes Jahr bezieht. Außerdem listet der „Klimazustandsbericht 2023“ eine ganze Reihe von Extremwetterlagen, klimabedingten Naturkatastrophen und einschneidenden Entwicklungen auf, die in dieser Häufung auffällig sind: In der Antarktis schmolz das Meereis um 1 Million Quadratkilometer ab, was mit der ebenfalls gestiegenen Temperatur der Ozeane korrespondiert. Da sich Wasser bei Erwärmung ausdehnt, stieg auch der Meeresspiegel. Die Alpengletscher verloren Eis in einem nie dagewesenen Ausmaß und es war mit Abstand das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Folge der Hitze und langanhaltenden Trockenheit waren Dürren, Ernteausfälle und Waldbrände. Manche Regionen litten wiederum unter zu viel Regen und weiträumigen Überschwemmungen. Erschwerend hinzu kamen Hurrikans, Zyklone und Wirbelstürme, die ebenfalls große Schäden verursachten. Gleichzeitig wurde weltweit noch nie so viel CO2 ausgestoßen, wie 2023, womit wir bei der Ursache des Klimawandels wären. Der Ausbau der erneuerbaren Energien erreichte zwar ebenfalls Rekordniveau, aber solange die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger nicht sinken, geht die Erderwärmung weiter. (rk)

Quelle:

„So extrem war das Klima 2023“, Benjamin von Brackel, Süddeutsche Zeitung, 20.03.2024   

klimaseite.info, 26.03.2024

Es erinnert ein wenig an die DDR-Nostalgie und ist rational ebenfalls nur schwer zu erklären: die Kernkraft-Nostalgie. Letztes Jahr, bevor die letzten drei deutschen Atomreaktoren vom Netz gingen, war das Unken vor einem Blackout und Stromengpass unüberhörbar. FDP, CSU und CDU wollten nicht von der gefährlichen Technik lassen. Rückblickend und angesichts der Tatsache, dass der gefürchtete Notstand ausblieb, wird jetzt fleißig gestreut, dass Deutschland dafür massenhaft Atomstrom importieren musste. Tatsächlich wurden 2023 erstmal seit 2002 mehr Strom importiert als exportiert, nämlich 9 Mrd. kWh (von insgesamt 510 Mrd. kWh Netzstrom insgesamt), aber im europäischen Strommix. Zur Hälfte stammten die Stromimporte aus erneuerbaren Quellen und nur zu einem Viertel Atomstrom. Ohnehin trugen die verbliebenen Reaktoren 2022 nur noch 6,4 Prozent zur Bruttostromerzeugung bei, 2023 nur noch 1,5 Prozent: ein nicht vernachlässigbarer, aber durchaus ersetzbarer Beitrag.

Angeschoben von Frankreich haben sich jüngst die europäischen Staaten zusammengefunden, die neue AKWs bauen wollen. Die Pro-Allianz wächst angesichts des fortschreitenden Klimawandels, verspricht die Kernkraft doch nahezu CO2-freien Strom. Allerdings kann man hier von Klimaneutralität nur reden, wenn die grauen Emissionen aus der Gewinnung und Aufbereitung von Uran, dem Bau der Reaktoren und der Herstellung der technischen Komponenten unterschlagen werden.          

Die Nostalgie kleidet sich in das Gewand der Innovation. Startups forschen fieberhaft nach neuen Reaktorkonzepten und scheitern reihenweise auf dem Weg vom Konzept über erste Prototypen zur Realisierung auf dem Markt. Aber nicht durchgängig. In Rumänien werden jetzt sechs kleine Nuklearreaktoren (Small Modular Reaktor SMR) gebaut. Sie sollen zeigen, dass ortsnahe Stromerzeugung aus Kernkraft mit diesen Typen machbar und ungefährlich ist. Der Bürgermeister ist euphorisch, die Einwohner reagieren eher skeptisch.  

Denn was die Befürworter einfach nicht sehen wollen: Kaum einer will einen Atomreaktor in seiner Nähe haben und für das Endlager gilt das Gleiche. Der zweite blinde Fleck bezieht auf die Gestehungskosten des Atomstroms. Aktuell ist das so ziemlich die teuerste Methode der Stromproduktion, wenn die AKWs neu gebaut werden. Aufgrund der hohen Sicherheitsstandards und langer Bauzeiten muss die Stromerzeugung teurer kommen als die von großen Photovoltaikanlagen oder Windkraft an Land. Neben der Unterscheidung, ob der Atomstrom aus alten und neuen Anlagen stammt, gibt es hier noch eine weitere Grauzone: die Folgekosten wie Umwelt-, Gesundheitsschäden und Entsorgung, die in Deutschland ja noch ungeklärt ist. Nach Angaben des Statistischen Bundesamt liegen die Folgekosten von Atomkraft im Vergleich zu anderen Energieträgern am höchsten.  

Und was die heiß diskutierten neuen Reaktorkonzepte angeht, hat das Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) in einer aktuellen Studie folgendes nüchternes Fazit gezogen: „In keinem der Länder ist ein Durchbruch abzusehen“. Jedenfalls nicht in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten. Auf die käme es aber an, wollte man dem Klimawandel mit Atomkraft wirksam begegnen. Wenn es länger dauert, kommt vielleicht schon der Fusionsreaktor ins Spiel und diese Technik verspricht Stromerzeugung ohne die Gefahr eines nuklearen GAUs und ohne Endlagersorgen. (rk)

Quellen:

„In keinem der Länder ist ein Durchbruch abzusehen“, Michael Bauchmüller, Süddeutsche Zeitung, 22.03.2024

„Analyse und Bewertung des Entwicklungsstands, der Sicherheit und des regulatorischen Rahmens für sogenannte neuartige Reaktorkonzepte“, Ökoinstitut. e.V., TU Berlin, Physikerbüro Bremen, Berlin März 2024

„Der Traum von den Mini-Akw“, tagesschau.de, 21.03.2024

„Eine Allianz für Kernkraft in Europa, tagesschau.de, 21.03.2024

Statistisches Bundesamt, statista.de

klimaseite.info, 24.01.2024

In der langen Reihe von inzwischen 28 UN-Klimaschutzkonferenzen gibt es leider wenig Highlights. Als solches zu benennen wäre die COP15 in Paris mit der gemeinsamen Zielsetzung, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius, maximal aber auf 2 Grad zu begrenzen. Die letzte Veranstaltung in dieser Reihe, die COP28 in Dubai, stand schon aufgrund der Präsidentschaft von Al Jaber, dem Energieminister der Vereinigten Arabischen Emirate und CEO eines großen Ölkonzerns, unter keinem guten Stern. Erschwerend hinzu kamen die Kriege in der Ukraine und Israel hinzu, die nach der Flaute während der Corona-Pandemie die Nachfrage nach Erdöl und Erdgas weltweit anheizten.

Obwohl längst klar ist, dass schnell Schluss sein muss mit der Förderung und Verbrennung fossiler Energieträger fuhren die großen Ölkonzerne letzte Jahr Milliardengewinne ein. Die Anteilseigner der fünf größten börsennotierten Ölunternehmen der Welt – BP, Shell, Chevron, ExxonMobil und TotalEnergies – können für 2023 mit 100 Milliarden US-Dollar (90 Milliarden Euro) Dividende rechnen. Das entspricht zufällig der den Entwicklungsländern schon lange zugesagten Summe an internationaler Hilfe für Klimaschäden. Nach Spiegel-Recherche haben sechzig Banken zwischen 2016 und 2022 mit rund 1,8 Billionen Dollar (umgerechnet rund 1,7 Billionen Euro) internationale Kohle-, Öl- und Gaskonzerne finanziert. Der überwiegende Teil davon waren Kredite zur Förderung fossiler Rohstoffe.

Während UN-Generalsekretär Antonio Guterres auf der COP28 die Vertreter von fast 200 Staaten wieder einmal beschwört („Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens“), während die CO2-Konzentration in der Atmosphäre die neue Rekordhöhe von 420 ppm erreicht, entschwindet das 1,5-Grad-Ziel. Indes wollen viele Politiker und Bürger gerne glauben, die Welt hätte noch Zeit für den Ausstieg aus fossilen Energien, idealerweise bis Mitte des Jahrhunderts, aber davon kann natürlich gar keine Rede sein, Förderung und Verbrauch müssen sofort radikal heruntergefahren werden. Bei den 1,5 Grad Celsius als Maximum der Erderwärmung geht es um Jahre, nicht um Jahrzehnte. Aber auch die Deutschen setzen weiter auf die Fossilen, beim Kauf von Gasheizungen oder Autos mit Verbrennungsmotor. Und diese Neuanschaffungen werden rund 20 Jahre im Einsatz sein. Das wissen Förderländer, Investoren und Ölkonzerne. Diese Tatsache sichert den Absatz der fossilen Brennstoffe und Kraftstoffe auf lange Zeit. Und so musste schon als Erfolg verbucht werden, dass die COP28 erstmals in einem Abschluss-dokument der Weltklimakonferenz die grundsätzliche Abkehr von fossilen Energieträgern beschloss, wobei der Ausstieg nicht terminiert werden konnte.

Genau dagegen hatten sich nämlich 22 erdölexportierende Staaten noch während der Konferenz ausgesprochen. Vor dem Hintergrund des Marktgeschehens (siehe oben) darf ohnehin skeptisch sein, ob der Ausstieg in den nächsten 20 bis 30 Jahren gelingen kann, obwohl auf vielen Anwendungsfeldern alternative, fossilfreie Techniken zur Verfügung stehen. Wie erwähnt, begibt sich die Weltwirtschaft derzeit weiter in fossile Abhängigkeiten. Die Nachricht, dass die nächste UN-Klimaschutzkonferenz COP29 Ende des Jahres erneut von einem Ölförderland, nämlich Kasachstan, ausgerichtet wird, stimmt natürlich auch nicht gerade optimistisch.  (rk)

Quelle: Susanne Götze, SPIEGEL Klimabericht, 03.11.2023

klimaseite.info, 07.04.2023

Die mittlere Erderwärmung gegenüber vorindustrieller Zeit beträgt laut dem jüngst veröffentlichten Synthesebericht des Weltklimarats IPCC 1,1 Grad. Die World Meteorogical Organization WMO gibt auf seiner Website eine Temperaturerhöhung von 1,14 Grad Celsius im 10-Jahres-Durchschnitt für den Zeitraum 2013-2022 gegenüber im Vergleich zur vorindustriellen Basislinie von 1850-1900 an. Beide Werte weisen ein Plus/Minus hinter dem Komma auf, aber wesentlicher als diese Unschärfe beim Anstieg der globalen Mitteltemperatur sind die großen Unterschiede zwischen den Ländern je nach Breitengrad. Während für Deutschland bereits plus 1,7 Grad Celsius zu Buche schlagen sind weiter nördlich bis zu plus drei Grad.

  • Nach derzeitigem Trend, mit den aktuellen Aktivitätsniveau der Staaten, ist laut Weltklimarat eine Erderwärmung von 3,2 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts zu erwarten.
  • Bereits bei 3 Grad Celsius Temperaturanstieg ist unter anderem eine Verdoppelung bis Verdreifachung der hitzebedingten Todesfälle in Europa zu befürchten.
  • Selbst wenn international alle Zusagen eingehalten würden (und danach schaut es nicht aus), muss man mit einer Erderwärmung von 2,5 Grad rechnen.  
  • Der Meeresspiegel steigt immer schneller; die Geschwindigkeit hat sich seit 1900 durch die Erderwärmung auf 3,7 mm pro Jahr verdreifacht.
  • Bereits bei 2 Grad Erderwärmung wird in Südeuropa ein Drittel der Bevölkerung von Trinkwasserknappheit betroffen sein. Auch die Landwirtschaft und Gartenbau wird darunter leiden.
  • Bei einem Temperaturanstieg über 3 Grad Celsius würden sich die Schäden durch Küstenüberflutung bis Ende des Jahrhunderts mindestens verzehnfachen.
  • Ökosysteme wie Regenwälder, Feuchtgebiete und Korallenriffe können sich vermutlich nicht schnell genug anpassen und drohen zu verschwinden. 

Das Gros der durchgerechneten Klimaszenarien ergibt eine mittlere Erderwärmung zwischen 1,8 und 3,9 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts. Das heißt, der Temperaturanstieg wird mit großer Wahrscheinlichkeit innerhalb dieser Spannen liegen. Heißt auch: Das 1,5 -Grad-Ziel von Paris kann wahrscheinlich nicht erreicht werden. Dafür müssten die globalen Treibhausgase schon bis 2030 um 45 % reduziert werden, bis 2035 um zwei Drittel bis zur Mitte des Jahrhunderts um 100 %. Das sind die Notwendigkeiten, über die Politik global und in Deutschland gerne hinwegsieht. Der IPCC moniert außerdem, dass immer noch mehr Geld in fossile Energie und fossile Infrastruktur fließt als in Klimaschutzmaßnahmen.

Der Weltklimarat wurde 1988 von der World Metereological Organization WMO und der UN-Umwelt-organisation UNEP gegründet, fasst regelmäßig die wissenschaftlichen Kenntnisse über den Klima-wandel in Berichten zusammen, die unter anderem auch als Grundlage für die UN-Klimakonferenzen dienen. Der nächste, der 7. Bericht Assessment Report wird in Teilberichten voraussichtlich ab 2027 erscheinen. (rk)

Quelle: „Bangen um das 1,5 Grad-Ziel“, Christoph von Eichhorn, Süddeutsche Zeitung, 21.03.2023