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Hier ist tatsächlich ein dickes Fragezeichen angebracht, denn der Gebäudesektor und die Baubranche sind weltweit für 38 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. (1) Das Treibhausgas wird bei der Herstellung der Baustoffe, beim Bauen und bei der Energieversorgung (Wärme, Strom) der Gebäude während der Nutzung emittiert. Hinzu kommt das Müllproblem: 60 Prozent der Abfälle stammen vom Abriss oder Umbauten.In Deutschland fallen jährlich 200 Mio. Tonnen Bauschutt an, mehr als die Hälfte des gesamten Abfalls. Den Ausstoß an Treibhausgas kann man auf verschiedene Weise zwar reduzieren, aber nicht auf null bringen. Es sei denn, jede Bautätigkeit würde eingestellt, und das will ja keiner. Dennoch scheint die Feststellung des Spiegel kaum übertrieben, wenn er resümiert: „Das globale Bauwesen ist der größte Umweltverschmutzer der Welt“. (1) Das sollte Anlass genug für ein paar grundsätzliche Überlegungen hinsichtlich Ressourcenschonung, Energieeffizienz und Klimaschutz bei neuen Bauprojekten sein und die sollten schon möglichst früh im Planungsprozess einsetzen. Wenn wir erst einmal Straßen, Brücken, Tunnels außer Acht lassen und uns auf Gebäude konzentrieren, dann beginnt eine vorausschauende Planung nicht etwa bei den Baustoffen, deren Gewinnung, Aufbereitung und Transport zur Baustelle natürlich auch schon Energie frisst und oft genug mit Landschaftszerstörung verbunden ist.

Neubau oder Renovierung?
Davor steht die grundsätzliche Frage, ob es überhaupt ein Neubau sein muss oder ob ein bestehendes Gebäude für den gewünschten Zweck umgestaltet werden kann, was in der Regel jedoch auch mit Bautätigkeit verbunden ist. Beim Umbau kommt darauf an, welche Wünsche das Gebäude am Ende zu erfüllen hat und wie hoch der Aufwand dafür ist. Der kann ganz erheblich sein, vor allem, wenn die Grundrisse verändert, also nichtragende Mauern eingerissen und an anderer Stelle neu gesetzt werden. Das ist bei Umnutzung von Nichtwohngebäuden für Wohnzwecke in der Regel der Fall, oft auch beim Umbau von Wohnhäusern. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist der Aufwand bei fälliger Erneuerung des Dachstuhls, Trockenlegung der Kellerräume durch außen liegende Spundwände oder bei Einbau von Fußbodenheizungen. Wenn die Bausubstanz besser in Ordnung ist, geht es vielleicht um eine Außenwanddämmung und um Austausch der Fenster, weil diese Außenbauteile bei altem Standard zu viel Heizwärme durchlassen.
Baumaterialien und neue Haustechnik sind nicht nur Kostenfaktoren, sondern zunächst auch mit zusätzlichen CO2-Emissionen verbunden, auch wenn sie über ihre jahrzehntelange Lebensdauer die Einsparung von Energie und Kohlendioxid bewirken, wie eine Wärmedämmung. Die pauschale Aussage, eine Umrüstung von Bestandsgebäuden sei generell „besser“ als der Neubau, ist sicher nicht richtig. Nur der direkte Vergleich und die genaue Bilanzierung möglicher Varianten in puncto Kosten, Ressourcen und CO2 bringen Klarheit. Dabei gilt es konsequenterweise von der „Wiege bis zur Bahre“ zu denken, also von den Baustoffen, der Herstellung der Materialien und Technikkomponenten, über den Einbau, die Nutzung, bis zu Abriss, Recycling, Wiederverwendung oder Entsorgung. Was die Sache nicht gerade einfach macht.
Nach dem Lebensende des Gebäudes ist noch einiges zu „herauszuholen“, wenn auf Trennbarkeit und Recyclingfähigkeit geachtet wurde, aber das geschieht in Planung und Baupraxis hierzulande noch viel zu wenig. Genaues Hinschauen bei der Auswahl alle Materialien lohnt also in Sinne einer Kreislaufwirtschaft, macht sich aber schon während der Nutzung des Gebäudes in puncto Wohngesundheit positiv bemerkbar. Denn Arbeits- und Innenräume sollen so schadstofffrei als möglich sein. Nur zur Erinnerung: Feuerhemmender Asbest und giftiges PCB in Dehnungsfugen zwischen Betonteilen war lange Zeit „State of the art“, aber diese Baustoffe stellen heute gesundheitsgefährdende Altlasten dar, die von Fachleuten mit Schutzausrüstung und unter hohem Aufwand beseitigt werden müssen. Sorgfältige Planung kann also nicht nur für eine gute Klimabilanz des Gebäudes, sondern auch für gutes Raumklima sorgen. Aus gesundheitlichen Gründen lohnt sich vor allem im Innenausbau die nähere Beschäftigung mit dem Material, seien es Fußbodenbelag, Wandfarben oder Kleber.

Wieviel Energie steckt in den Baustoffen?
Der Energieaufwand für die Gewinnung der Grundstoffe Sand, Schotter, Kies, die Herstellung von Zement, Beton oder Ziegelsteinen, von Dachsparren, Fensterrahmen oder Wärmedämmung wird als „graue Energie“ bezeichnet. Meist ist damit auch die fällige Energie für Transport, Einbau und -nach Abriss- für Abtransport und Entsorgung gemeint. Diese Prozesse und Verfahren sind in aller Regel mit CO2-Emissionen verbunden, die zur Klimabilanz des Gebäudes in der Nutzung, also durch Beheizung, Warmwasserbereitung, Lüftung oder Kühlung, durch Pumpen oder Aufzüge, addiert werden müssen. In welchem Verhältnis das während Lebensdauer erzeugte CO2 zu dem vorher und nachher emittierten stehen, hängt sehr von Bauweise, Material, Nutzfläche, Energiestandard, Wärmeversorgung und Dauer der Existenz ab und ist insofern pauschal kaum zu benennen.
Eine Lösung wäre die Holzbauweise, was bedeutet, möglichst viel vom nachwachsenden Rohstoff Holz, der gleichzeitig das darin gespeicherte CO2 bindet, zu verbauen. Der Charme dieser Bauweise besteht darin, dass großflächig Bauteile, wie etwa die Außenwände, bereits in Hallen einschließlich der Fensteröffnungen und Kabelschlitze vorgefertigt werden können, so dass es nach Antransport auf der Baustelle deutlich schneller vorangeht als bei Massivbauten aus Stein oder Beton. Weil diese konventionellen Materialien schwerer sind als die Holzbauweise, kann auf Flachdächern noch ein Stockwerk draufgesetzt werden, ohne die Statik der Geschosse darunter zu überlasten. Es existieren bereits „Holzhochhäuser“ bis 80 Meter Höhe, wobei bei mehrgeschossigen Bauten die Treppenhäuser und Aufzugschächte aus Brandschutzgründen meist betoniert werden, teilweise auch die Decken. Aber auch bei der Herstellung konventioneller, mineralischer Baustoffe kann Energie eingespart und Kohlendioxid vermieden werden.


Beton: Es kommt darauf an, wie man ihn macht
Da weltweit die meisten Bauten aus stahlverstärktem Beton hergestellt werden, verdient seine Produktion besondere Beachtung. Das Gros des Energieaufwand steckt neben dem Stahl im Bindemittel Zement. Jährlich wird global die enorme Menge von 4 Mrd. Tonnen Zement produziert. Dabei wird pro Tonne Zement eine halbe Tonne Kohlendioxid freigesetzt, so die Faustregel. (1) Bei der Zementproduktion wird gemahlener Kalkstein in -bislang mit Erdgas beheizten- Drehrohröfen bei etwa 1.450 Grad Celsius aus gemahlenem Kalkstein und Ton gebrannt. Dabei entsteht der sogenannte „Zementklinker“ als Vorstufe des Zements. Dieses Brennen kann zur Verbesserung der CO2-Bilanz auch mit Strom erfolgen, der dann natürlich möglichst vollständig aus erneuerbaren Quellen stammen sollte.
Eine andere Methode führt zum gleichen Ziel: Wände oder Decken aus Beton dünner ausführen und statt Stahl zur Verbesserung der Stabilität Matten oder Fasern aus Karbon bzw. Kunststoff in den Beton mischen. Damit kann die Stärke der Schicht bei gleicher Stabilität halbiert werden, entsprechend weniger Beton ist nötig. Beim Mustergebäude für dieses Verfahren namens „Cube“ in Dresden wurden Karbonmatten erfolgreich zur Stabilisierung eingesetzt.
Natürlich kann das bei der Zementherstellung entstehende CO2 direkt in Werk auch abgeschieden und unterirdisch verpresst werden, wie vom Hersteller Cemex in Rüdersdorf geplant. Außerdem ist hier vorgesehen, die Abwärme in ein Nahwärmenetz einzuspeisen. Allerdings ist damit erst eines der 50 Cemex-Zementwerke weltweit dekarbonisiert. (2) Auch andere große Zementhersteller sind bemüht, ihr Produkt klimafreundlicher zu machen. Die Firma Heidelberg Materials will im Werk in Geseke dazu reinen Sauerstoff für das Brennen von Kalkstein nutzen („Oxyfuel-Verfahren“). Das Gasgemisch im Ofen hat dann einen hohen CO2-Gehalt, was die Abscheidung erleichtert. Weil momentan die CO2-Deponierung ausschließlich unter dem Meeresboden erlaubt ist und die dafür notwendigen Pipelines bislang nur auf dem Papier existieren, soll das abgeschiedene Kohlendioxid per Bahn und auf der Schiene nach Wilhelmshaven transportiert werden. Von der Sammelstelle wird das CO2 dann in Tanks auf die Nordsee verschifft, zu einer Plattform der Wintershall Dea, nicht zufällig einem Gas- und Ölförderunternehmen. (3) Dort wird das Klimagas schließlich unter dem Meeresboden verpresst. Die schwedische Firma Cemvision, ein Start-up der Branche, schlägt einen anderen Weg bei der Zementherstellung ein. Statt Kalkstein verwendet es kalziumreiche Reststoffe, etwa aus der Stahlindustrie, um so das Kohlendioxid komplett zu vermeiden.
Gänzlich auf Zement als Bindemittel zu verzichten, funktioniert auch, wenn man stattdessen den Beton flüssige Kunstharze beimischt. Dann spricht man vom „Polymerbeton“. Alle diese Verfahren machen den Beton natürlich nicht billiger. Die CO2-Abscheideanlage in Geseke, eine veritable Fabrik neben dem Drehrohrofen, wird wohl fast 500.000 Euro kosten. Deutschland und die EU fördern solche Techniken mit hohen Summen. Dennoch wird beispielsweise erwartet, dass die Tonne CO2-freier Zement von Heidelberg Materials zunächst das Doppelte der konventionell hergestellten Menge kostet.

Wieviel Fläche soll es denn sein?
Die zweite Grundsatzfrage wäre bei Wohngebäuden die nach der tatsächlich erforderlichen Gewerbe- und Wohnfläche, entsprechend den Bedürfnissen der späteren Nutzer und Bewohner. Selbst in unseren Großstädten, wo Wohnraum knapp und teuer ist, steigt der Flächenbedarf bei Bauherren, Käufern und Mietern. Die Fläche einer Wohnung lag 2022 im Bundesdurchschnitt bei 92,2 m², die pro Person bei 47,4 m² (4). Letzteres bedeutet eine Steigerung um 2,6 Prozent. Das klingt nicht nach viel, summiert sich aber bei 85 Mio. Einwohnern. Obwohl vielköpfige Familien seltener und Einpersonenhaushalte häufiger werden, gibt es eine Tendenz zu großen Wohnungen und Einfamilienhäusern. Das häufig anzutreffende Ideal vom „Häuschen auf dem Land“ ist allerdings ein wenig umwelt- und klimaverträgliches Modell. Ein Wohnflächenbedarf von 200 m² erscheint für eine junge, vierköpfige Familie nicht übertrieben hoch, aber wenn die Kinder aus dem Haus sind, sieht es schon anders aus. Für zwei Menschen würde nämlich auch eine Wohnung von 70 m² in einem Mehrfamilienhaus genügend Platz bieten. Einfamilienhäuser mit Garten bringen eine Reihe von Problemen mit sich. Neben Wohnhaus und Garage versiegeln oft gepflasterte Wege und die Zufahrt zur Garage den Boden. Wohngebiete mit vielen Einfamilienhäusern vergrößern automatisch die Versorgungsnetze der Kommunen, führen im Vergleich zu Siedlungen mit Mehrfamilienhäusern zu längeren Leitungen für Wasser, Abwasser, Strom und Erdgas; zu weiteren Wegen für Busse oder Müllabfuhr und zu höheren Kosten für Bau und Unterhalt dieser Infrastruktur. Mit Nachhaltigkeit hat diese Bauweise also wenig zu tun. Eine gute Wärmedämmung und eine Solaranlage auf dem Dach können die Negativbilanz zwar etwas aufhübschen, aber nichts Grundsätzliches ändern. Siedlungen mit Einfamilienhäusern oder Doppelhaushälften, die im Durchschnitt nur geringfügig mehr Energieeffizienz und Ressourcenschonung beitragen, sind häufig auch am Rande von Städten vorzufinden. Solche aufgelockerten und durchgrünten „Gartenstädte“, werden aber Zug um Zug nachverdichtet, entsprechend der wirtschaftlichen Logik, bei der es gilt, den teuren Baugrund optimal auszunutzen.
Im Wohngebäudebestand sind fast 80 Prozent der Häuser Einfamilien- und Zweifamilienhäusern (EFH und ZFH). Städte und Kommunen sind allerdings gut beraten, wenn sie im Zuge der Bauleitplanung keine neuen Wohngebiete mit EFH oder ZFH mehr ausweisen, sondern nur für den Geschosswohnungsbau.

Alte Gebäude voller Wertstoffe, die Stadt als Mine
Da Eisen und Kupfer noch Geld bringen und per Magnet gut vom großen Rest getrennt werden können, gelten sie als Wertstoffe. Bei einem Mehrfamilienhaus von 53 Wohneinheiten an 70 m2 fallen durchschnittlich 177 Tonnen Stahl und 1,8 Tonnen Kupfer und 1,4 Tonnen Aluminium an, ebenfalls recyclingfähig. Demgegenüber allerdings 2.587 Tonnen Beton und 1.850 Tonnen Ziegel, um die beiden größten Fraktionen zu benennen. Hier sind allerdings die Deponie oder Downcycling die Regel, Wiederverwendung von Material oder Bauteilen die Ausnahme. Doch das Problembewusstsein wächst. Baustoffbörsen bieten Vollholzparkett, Fensterrahmen, Ziegel oder Fliesen; Teile, denen bei Renovierungen oder bei Neubauten ein zweites Leben eingehaucht wird. Es geht auch eine Nummer größer. Selbst die Plattenbauten aus DDR-Zeiten müssen nicht in den Shredder. Die Bauingenieurin Angelika Mettke hat in Cottbus 80 Betonteile aus einem zum Abriss freigegebenen Plattenbau für den Neubau eines Sportlerheims verwendet. Und das ist kein Einzelfall. Die Firma Ecosoil realisiert 15 bis 20 solcher Projekte im Jahr. Der Bauunternehmer Axel Bretfeld sagt dazu, bei Beton rechne man normalerweise mit einer Lebensdauer von 50 Jahren, aber „nach 50 Jahren fällt bei ordnungsgemäßer Nutzung kein Beton auseinander“. (5) Er rechne mit einer Nutzungsdauer von 100 Jahren und mehr. Das dürfte stimmen, gilt aber wohl nicht für Straßenbrücken, die hoher Belastung durch den Verkehr ausgesetzt sind, bei denen der stabilisierende Stahl unter der Einwirkung von Wasser und Streusalz nach ein paar Jahrzehnten zu rosten beginnt.
Städte, in denen ja ständig Gebäude abgerissen und neu gebaut werden, hat die Wissenschaft für das „urban mining“ auserkoren. Penibel werden von Forschenden die Wertstoffe erfasst und hochrechnet, um auf das Volumen, das enorme Einsparpotenzial an Rohstoffen, Energie und CO2 hinzuweisen. Aber dieses Wissen trug bislang nur wenig Früchte. Es bleibt vorerst bei Modellprojekten, denn die gängige Baupraxis bedeutet: Abriss, Deponie und Neubau mit neuen Baustoffen und -materialien.

Gute gedämmte Effizienzhäuser
Ob Neubau oder Altbausanierung: Auch und vor allem durch einen guten Wärmeschutz der Gebäudehülle lassen sich Wärmeenergie einsparen und CO2-Emissionen vermeiden. Dabei geht es um alle Außenflächen, also Dach, Bodenplatte, Fenster, Außenwand. Da hat sich die letzten Jahrzehnte einiges getan. Angetrieben wurde der Fortschritt von den innovativen Architekten der „Passivhäuser“, das sind Gebäude, die dank hervorragender Dämmung mit einem Minimum an Heizwärme auskommen. Die stammt von elektrischen Heizelementen in der Zuluft, ein konventioneller Heizkessel wird überflüssig. Das ist noch nicht einmal das Ende der Fahnenstange, denn es existieren auch bereits hocheffiziente Gebäude, „Plusenergiehäuser“, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen und so zum „Kraftwerk“ werden. Meist weisen sie neben einer sehr guten Wärmedämmung eine Photovoltaikanlage auf, die Strom für die Wärmepumpenheizung erzeugt. Wenn die eigene PV-Anlage übers Jahr gesehen den Hausstrom und den Strom für die Wärmepumpe abdeckt, ist das Gebäude im Betrieb klimaneutral. Bei entsprechender Größe und einem Akkuspeicher bleibt dann ein „Plus“ in Form von Solarstrom für das Elektroauto übrig.
Über Jahrzehnte wurden gesetzlichen Anforderungen an den Wärmeschutz von Gebäuden stetig erhöht, angefangen bei der Wärmeschutzverordnung (ab 1984), über die Energiesparverordnung EnEV (ab 2002) bis zum Gebäudeenergiegesetz GEG (ab 2020), dem sogenannten „Heizungsgesetz“. Bei der Heiztechnik macht das GEG nun den entscheidenden Schritt weg von den fossilen Energieträgern hin zur klimafreundlicheren Alternativen. Darin besteht die oft verkannte Qualität des verpönten Heizungsgesetzes. Und es ist „technologieoffen“, denn neben den Wärmepumpen erlaubt das GEG eine ganze Reihe von anderen Heizungen. Eine weitere oft gehörte Kritik, die „Überforderung“ der Bürger, greift bei näherer Betrachtung ebenfalls nicht, denn Habecks Gesetz gewährt großzügige Ausnahmen und Übergangsfristen für den Kesseltausch. Neben der Wärmeversorgung als Teil der Haustechnik enthält das GEG auch Bestimmungen zum Sonnenschutz, Lüftung und Kühlung. Den Kern dieses Gesetzes bildet jedoch die Gebäudehülle, wie schon bei der EnEv der Fall. Der Wärmeschutz von außen bestimmt zusammen mit den eingesetzten Energien, der Art der Beheizung und Kühlung die Energieeffizienz, die Kosten und die CO2-Emissionen während der Nutzung des Gebäudes.

Gebäudeinnovation spart Energie, CO2 und Kosten
Die öffentliche Hand fördert energetische Altbausanierung, Kesseltausch und der Neubau von Effizienzhäusern finanziell. Im Zuge einer umfassenden Sanierung lässt sich der Verbrauch an Heizenergie bei Mehrfamilienhäusern von 110 bis 130 Kilowattstunden pro m2 und Jahr halbieren. Im Neubau geht ist nochmal deutlich weniger. Neben Deutschland ist auch in den Nachbarländern Österreich und in der Schweiz enormes Know How im Bereich energieeffizientes Bauen und Sanieren entstanden. Trotz dieser Erfolgsstory bleibt festzuhalten, dass der Gebäudesektor für mehrere Jahre das Limit des Klimaschutzgesetzes überschritten hat. Hauptursache: Bei den Altbauten geht die Wärmedämmung, der Austausch von älteren Fenstern, Öl- oder Gaskesseln nur schleppend voran. So bewegt sich die Wärmewende im Gebäudebereich trotz vieler Vorteile und trotz der Notwendigkeit der CO2-Minderung zu Zeit auf der Kriechspur. (rk)

Quellen:
1 „2020. Global Status report for Buildings and construction. Executive summary”, UNEP, Nairobi, 2020
2 „Wunder am Bau“, Ullrich Fichtner, Der Spiegel, 05.10.2024
3 „Betonköpfe denken um“, Philip Bethge, Der Spiegel, 28.09.2024
4 „Unser Beton soll grüner werden“, Carlotta Böttcher, Die Zeit, 30.10.2024
5 Website des Umweltbundesamts, www.umweltbundesamt.de
6 „Neues Leben für die alte Platte“, www.tagesschau.de, 12.12.2022

klimaseite.info, 17.09.2024

Ein Rekordsommer geht zu Ende, bereits Mitte September ist es herbstlich, ja geradezu winterlich in Deutschland mit Tagestemperaturen, die kaum über 10 Grad Celsius steigen. Höchste Zeit, sich mit der Heizung zu beschäftigen, mag sich mancher Hausbesitzer denken. Falls die alte kaputt ist, wird zunächst der Heizungsmonteur angerufen. Wenn die Reparatur zu teuer kommt oder nichts mehr zu machen ist, muss eine neue Heizung her, am besten eine, die ohne die fossilen Energieträger Erdgas und Heizöl auskommt. Dafür ist die elektrische Wärmepumpe inzwischen die Technik der Wahl. Mit Hilfe von Strom, der ja in Deutschland zu mehr als der Hälfte inzwischen aus erneuerbaren Quellen kommt, nutzt sie Umweltwärme aus Luft, Erdreich oder Grundwasser, um mit einer Kilowattstunde Strom das Drei- oder Vierfache an Wärme zu erzeugen. Soweit das Prinzip dieser klimafreundlichen Technik. Zu ihrer Unterstützung warb Bundesminister Habeck bei Stiebel Eltron, die in der Nachfrageflaute steckt, für Wärmepumpen und nahm pressewirksam einen Schrauber zu Hand, was zumindest dieser Firma zusätzliche Nachfrage bescherte. 

Hausbesitzer halten an alter Technik fest

Denn die Wärmepumpe hat Werbung nötig. 2023 wurden 790.500 Gasheizungen verkauft und nur 356.000 elektrische Wärmepumpen. Im ersten Halbjahr 2024 schaut es nicht viel besser aus: 223.000 Gaskessel, 55.000 Ölkessel und nur 90.000 Wärmepumpen, unterm Strich ein Minus von 54 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2023. Die Hersteller klagen über Absatzprobleme. Auch die Marktpräsenz bleibt stark hinter anderen Ländern, wie Italien, Frankreich, Norwegen und Schweden zurück, wo teilweise in der Hälfte der Heizungskeller Wärmepumpen stehen. Bei uns ist das momentan bei gut einem Viertel der Bestandsgebäude der Fall, nur im Neubau überwiegt die Wärmepumpe bei den Heizsystemen. Die Wärmewende in Deutschland ist also längst noch nicht so weit wie die Stromwende. Mit dem „Heizungsgesetz“ sollte es eigentlich auch bei der Wärme vorangehen, aber das Gesetz gilt vielen als verunglückt. Was steht drin zum Thema Heizen?

  • Bestehende Heizungen mit Heizöl und Erdgas sollen im Regelfall nach 30 Jahren ausgetauscht werden.
  • Sie dürfen dennoch weiterlaufen bis längstens 2044, sofern sie intakt sind oder repariert werden können. Je nach Art des Hauses und Leistung des Heizkessels gibt es unterschiedliche Regelungen und Fristen.     
  • Neue Heizungen müssen -zeitlich gestaffelt- mit mind. 65% erneuerbaren Energien laufen. Neben der Wärmepumpe ist auch eine ganze Reihe anderer Heizsystemen möglich. Die notwendige Wärme kann im Gebäude erzeugt oder von außen zugeführt werden (Fern- und Nahwärme).

Wo bleibt die Wärmewende?

Von einem zwangsweisen Austausch funktionierender Heizungen ist hier also nicht die Rede. Erdgas und Heizöl, bei deren Verbrennung CO2 entsteht, dürfen 30 Jahre und länger genutzt werden. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Lebensdauer von Kühlschränken oder Autos beträgt 10 bis 15 Jahre, also maximal die Hälfte dieser Zeitspanne. Und die finale „Deadline“ dieser fossilen Wärmeerzeuger liegt gerade mal ein Jahr vor dem der geplanten Klimaneutralität des ganzen Landes.     

Die Kritik „handwerklich schlecht gemacht“ bezieht sich überwiegend auf den im Frühjahr 2023 durchgestochenen Entwurf des Heizungsgesetzes, der gar nicht in den Bundestag kam. Dennoch gilt dieses Gesetz in weiten Teilen der Presse und der Öffentlichkeit als misslungen oder „vermurkst“, so jüngst Philipp Bovermann in der SZ. Aber wer sich tiefergehend und mit Sachkunde damit beschäftigt, kommt durchaus zu einem anderen Urteil. Habecks Gesetz ist trotz einiger Schwächen ein wichtiger Baustein zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung von Gebäuden und führt zur Minderung der CO2-Emissionen in diesem Bereich.

An dem Vorwurf „schlecht kommuniziert“ ist schon eher was dran. Auf jeden Fall wurde der Bedeutung des Gesetzesvorhabens und der Bezug zum Klimaschutz nicht klar. Vielleicht hätte Habeck eine „Wärmewende“ ausrufen sollen, ähnlich wie Bundeskanzler Scholz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine eine sicherheitspolitische „Zeitenwende“ ankündigte. Dass Habeck federführend dafür gesorgt hat, die Gaslücke nach dem Wegfall des russischen Erdgases rasch zu schließen und später der Absatz von Gasheizungen in die Höhe ging, entgegen seiner Empfehlung, künftig keine Gasheizungen mehr zu installieren, ist durchaus von einer gewissen Ironie. 

Habeck und seine Grünen standen in der von Bild angestoßene Kampagne und dem folgenden Sturm der Entrüstung alleine da. Er wurde durch die Indiskretion oder Intrige kalt erwischt. Zudem war er in der Koalition mit einer FDP gefangen, die sich auf die Seite der Opposition schlug und mit einer passiv-desinteressierten SPD. Dabei hätte speziell Bundesbauministerin Geywitz (SPD) allen Grund gehabt, sich einzubringen. Der Vorläufer des neuen „Gebäudeenergiegesetzes“ (GEG), so die korrekte Bezeichnung für das Heizungsgesetz, die Energiesparverordnung (EnEV) lag nämlich lange Zeit in der Zuständigkeit der Bauministerien. Außerdem musste ihr „Wärmeplanungsgesetz“ ohnehin mit Habecks Gesetz synchronisiert werden, denn die Wärmeerzeugung in Kraftwerken und die Verteilung, etwa durch Fernwärme, ist auf die Gebäude abzustimmen. Dies ist mit beiden Gesetzen gelungen, ein zukunftsfähiger Rahmen ist gesetzt.

Populismus gegen Verbote

Aus Klimaschutzsicht fehlt es allerdings an Tempo. Die Umstellung auf klimafreundliche Heizung und Warmwasserbereitung verläuft mit diesen Leitplanken deutlich zu langsam, was der unsäglichen, gleichwohl noch fortdauernden Verbotsdebatte geschuldet ist. Aber die oft gehegte und geäußerte Hoffnung, mit Information, gutem Zureden und finanzieller Förderung ließen sich die deutschen Klimaschutzziele für 2030 und 2045 erreichen, ist illusorisch. Jede Krise -siehe Pandemie- erfordert eine Regierung, die vor Geboten und Verboten nicht zurückschreckt, auch die Klimakrise.

Jens Spahn (CDU) hat nun mit Blick auf die nächste Bundestagswahl schon angekündigt, den Bürgern wieder die freie Wahl bei der Heizungstechnik zu lassen, wenn seine Partei ans Ruder käme, die Tatsache ignorierend, dass sein Parteivorsitzender Friedrich Merz sich ausdrücklich zur Wärmepumpe bekannte. O-Ton Spahn: „Im Bestand wird es mit uns keinen brachialen Zwang zum Heizungsaustausch geben.“ Allerdings ist dies weder Inhalt noch Ziel des Gebäudeenergiegesetzes. Spahn versprach, die CDU werde Klimaschutzziele mit Augenmaß umsetzen, „nicht mit der Brechstange“. Oder eben gar nicht. Von einer künftigen CDU-geführten Bundesregierung ist also eine Zielverfehlung mit Ansage zu erwarten. Whatabautismen und Populismus a la Spahn pflastern den Weg zur Macht. Der Streit um das Gebäudeenergiegesetz kann als Lehrstück dafür gelten, wie Oppositionsparteien mit Medienunterstützung Klimaschutzmaßnahmen aushebeln können. Und als Beispiel, wie Populismus wirkt, wie erfolgreich Sprücheklopfen sein kann. Habeck äußerte im Rückblick auf die Debatte um das Gesetz, sie habe ihm die Grenzen des politisch Machbaren und gesellschaftlich Vermittelbaren gezeigt. So war es wohl. Aber so kriegt man natürlich kein Tempo in die Techniktransformation und so sind auch die Klimaschutzziele im Gebäudesektor nicht zu erreichen.         

Vom Verbrenner zum Stromer

Gibt es aktuell einen „Kulturkampf um die Wärmepumpe“, wie Der Spiegel das titelt? Dann haben erleben wir gerade auch einen Kulturkampf um das Elektroauto. Denn in beiden Fällen steht eine ausgereifte Technik zur Verfügung, um mithilfe von Strom fossile Energieträger zu ersetzen und CO2-Emissionen vermeiden, die akute Probleme hat, sich auf dem Markt durchzusetzen. Da der Verkehrs- und der Gebäudesektor die im Klimaschutzgesetz fixierten Limits für CO2 seit Jahren überschreiten, könnten potenzielle Kunden beim Neukauf einer Wärmepumpe und eines E-Autos einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten; auch, wenn man bedenkt, dass beide Techniken jahrzehntelang ihren Dienst tun werden. Zwar können sie inzwischen nicht mehr als „innovativ“ gelten, wie etwa die von der FDP ersehnten Flugtaxis, aber bringen doch unvergleichlich größeren Nutzen. Allerdings scheint die viel gepriesene Technologieoffenheit bei Wärmepumpen und E-Autos ihre Grenzen zu haben, wie die aktuellen Absatzkrisen zeigen. Die Skeptiker und Schlechtmacher können einen Erfolg verbuchen, die Hersteller und der Klimaschutz haben hingegen das Nachsehen. (rk)

Quellen:

„Kulturkampf um die Wärmepumpe“, Der Spiegel, 07.09.2024

„Statusreport: Wärme“, www.bdew.de, am 16.09.2024

Website der Deutschen Energieagentur, www.deea.de, am 16.09.2024

Website der Statista GmbH, statista.com, abgerufen am 16.09.2024

klimaseite.info, 15.08.2024

Mehr als zwei Drittel unseres Trinkwassers aus der öffentlichen Wasserversorgung stammen aus Grundwasservorkommen. Wir blicken jetzt auf eher feuchtes Winterhalbjahr und ausgesprochen nasse Monate Mai und Juni inclusive weiträumiger Überschwemmungen in Süddeutschland zurück. Konnte dieser Regenüberschuss die regenarmen Jahre von 2018 bis 2020 ausgleichen, in denen das Grundwasser mancherorts bedenklich zurückging?

Messungen und Ergebnisse

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ist dieser Frage nachgegangen und dokumentiert das Ergebnis im Internet, auch in Form einer digitalen Karte. An 82 Referenzmessstellen wurden Daten aus den Jahren 1991 bis 2020 ausgewertet. Tatsächlich sanken die Pegelstände in den Dürrejahren merklich. 2019 und 2020 lag nur ein Drittel der Pegel im Normalbereich, zwei Drittel wiesen aber Niedrigststände auf. Ganz anders die erste Jahreshälfte 2024, in der sich bei drei Vierteln der Pegel ein hoher bis sehr hoher Grundwasserstand zeigte. Für die Neubildung von Grundwasser ist aber nicht allein die Regenmenge entscheidend, sondern auch der Umfang der Bodenversiegelung, die Durchlässigkeit des Bodens und die Beschaffenheit der grundwasserführenden Schichten. Nach Aussage von Fachleuten kann sich das Grundwasser teilweise innerhalb von Stunden auffüllen, es kann aber auch Jahrzehnte dauern.

Ungleiche Verteilung

Bemerkenswert waren die regionalen Unterschiede der Regenmenge. In den zwölf Monaten von Juni 2023 bis Juni 2024 gaben es einen enormen Regenüberschuss gegenüber dem langjährigen Mittel 1991 bis 2020 im Voralpenland, in Teilen Baden-Württembergs, im Saarland, in der Lüneburger Heide und in einer Zone vom Rheinland über Hamburg bis Schleswig-Holstein. Unterdurchschnittlich bis schlecht waren die Regenfälle in den neuen Bundesländern. Niedrige Pegel waren zuletzt vor allem im südlichen Brandenburg und in Sachsen zu beobachten. So hat sich der Pegelstand in Mülsen (Sachsen) beispielsweise nicht nur nicht erholt von den Trockenjahren, sondern sank sogar weiter ab. Auch im Erzgebirge und im Bayerischen Wald sind ein Drittel der Pegel noch unterdurchschnittlich hoch.

Leichte Entspannung der Lage

Die Forscher ziehen folgendes Fazit: „Das Niederschlagsdefizit der vergangenen Jahre hat sich nicht über Gesamtdeutschland gleichförmig reduziert und in einigen Regionen gar nicht.“ Wenn der gesamte Wasserhaushalt des Landes betrachtet wird, also neben Grundwasser auch die Bodenfeuchte und die Gewässer, so liegen neue Erkenntnisse vor. Die Forschung hat die Aussage eines US-Geologen, der Satellitendaten der GRACE-Mission auswertete und von einem Wasserverlust von 2,4 Kubikkilometern Wasser von 2000 bis 2022 ausging, was etwa dem Wasser im Bodensee  entspräche, auf Drittel dieser Menge unten korrigiert. Grund zur Entwarnung ist das aber nicht, denn Deutschland bräuchte unter dem Strich und auf längere Sicht mehr Niederschlag, um die Wasser-Defizite auszugleichen. Denn mit steigenden Temperaturen verdunstet natürlich auch mehr Wasser aus den oberen Schichten des Bodens, bevor es das Grundwasser erreicht. Aber hinsichtlich der Frage, ob künftig Regenüberschüsse zu erwarten sind, lassen die Klimamodelle noch keine klare Antwort zu. 

Regen nutzen, Trinkwasser schonen, Wasser sparen

Die Regenmenge ist kaum beinflussbar, aber den Regen könnte man vermehrt in Talsperren, Zisternen, Regentonnen auffangen und er müsste stärker genutzt werden, etwa zur Gartenbewässerung oder zur Toilettenspülung, um die Trinkwasservorräte zu schonen. Außerdem sollte der fast ungebremste Trend zur Bodenversiegelung durch neue Häuser, Parkplätze, Straßen, Gewerbegebiete im Umfang von 55 ha pro Tag, was in Summe pro Jahr der Fläche der Stadt Hannover entspricht, dringend gestoppt werden. Ein Großteil des von befestigten Flächen abfließenden Regenwassers landet nicht im Grundwasser, sondern in der Kläranlage bzw. im nächsten Fluss. Wenn es darum geht, den Wasserverbrauch einzuschränken, ist aber in erster Linie die Industrie als größter Wasserverbraucher gefragt. Denn durch die Wasserversorgung der öffentlichen Hand wurden 2019 in Deutschland 20,71 Mrd. m³ Wasser gewonnen, für industrielle und gewerbliche Zwecke jedoch 15,36 Mrd. m³, davon 2,29 Mrd. m³ Grund- und Quellwasser. Mit 12 Mrd. m³ dominiert das Flusswasser als Wasserquelle, das vor allem für Kühlzwecke in Kraftwerken genutzt wird. Vor allem aufgrund des gesunkenen Kühlwasserbedarfs von Atom- und Kohlekraftwerken ging die gesamte Wasserentnahme aus der Umwelt im letzten Jahrzehnt um etwa ein Siebtel zurück.   

Quellen:

„Wieder volle Speicher“, von Eichhorn/Müller-Hansen/Kraus/Schnuck, Süddeutsche Zeitung, 05.08.2024

Website der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), www.bgr.de

Website des Statistischen Bundesamts, www.destatis.de     

klimaseite.info, 05.08.2024

Noch ist nicht klar, wo „grüner“ Wasserstoff aus der Wasserelektrolyse mit Ökostrom in ausreichender Menge und zu akzeptablem Preis herkommen soll. Es gibt in Deutschland gerade mal etwa 40 Elektrolyseure, die eine kleine Menge dieses teuren Stoffs produzieren. Einstweilen ist der allergrößte Teil „grau“. Er wird aus fossilen Kohlenwasserstoffen durch Dampfreformierung hergestellt. Wenn das dabei entstehende CO2 abgetrennt und gespeichert wird, ist von „blauem“ Wasserstoff die Rede. „Türkis“ wird er in dieser Nomenklatur, wenn im Zuge einer Methan-Pyrolyse statt CO2 fester Kohlenstoff entsteht, der leichter deponiert werden kann als das gasförmige Kohlendioxid oder aber als Chemie-Grundstoff Verwendung findet. Es gibt noch weitere Herstellungswege mit den entsprechenden Farben, die voraussichtlich keine wesentliche Rolle spielen können. Momentan stammt in Deutschland erzeugte Wasserstoff allerdings zu über 90 Prozent aus fossilen Quellen. Das soll sich ändern. Mitte Juni arbeiten an etwa zwei Dutzend Standorten „Power to gas“ -Anlagen, Elektrolyseure, die mit vor allem mit Windstrom Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff spalten.

Wo Wasserstoff Sinn macht

Klar ist aber, dass kein Weg am Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft vorbeiführt, vor allem die Stahl- und Zementproduktion ist ohne grünen Wasserstoff nicht klimaneutral zu bewerkstelligen. Auch Gaskraftwerke sollen Anschluss an ein entsprechendes Pipeline-Netz erhalten und künftig mit Wasserstoff befeuert werden. Das dritte Einsatzgebiet nach der Industrie und dem Kraftwerksbereich ist der Transportsektor, wobei H2 als Kraftstoff im Güterverkehr und in der Luftfahrt vermehrt zum Einsatz kommen, aber für Pkw in der Nische bleiben dürfte. Ähnlich wird es bei Gasheizungen in Gebäuden laufen. Nur ein kleiner Teil der neuen H2-ready-Gaskessel wird Wasserstoff aus dem Netz beziehen können, weil das Wasserstoffnetz für Großabnehmer konzipiert ist. Dieses „Kernnetz“ ist zunächst für eine Länge von 9.700 km geplant. Zum Vergleich: das aktuelle Erdgasnetz umfasst 550.000 km, das Fernleitungsnetz allein 42.400 km.

Gas-to-Power

In einer Situation, in der genauere Prognosen hinsichtlich der Marktentwicklung schwierig sind, stellte die Bundesregierung mit ihrer Wasserstoffstrategie die Leitlinien vor. Sie will mit dem „Kraftwerksicherungsgesetz“ Anreize für den Neubau von wasserstofffähigen Kraftwerken schaffen. Insgesamt sind 12,5 Gigawatt (GW) Kraftwerksleistung vorgesehen. Es werden fünf GW Leistung bei wasserstofffähigen Kraftwerken ab dem achten Betriebsjahr und weitere fünf GW Leistung bei Gaskraftwerken ohne zeitliche Vorgaben zur Umstellung auf Wasserstoff ausgeschrieben. Weitere zwei Gigawatt Kraftwerksleistung sollen durch Modernisierung bzw. Umrüstung im bestehenden Kraftwerkspark hinzukommen und 500 Megawatt (MW) Kraftwerksleistung sind für ein Wasserstoff-Kraftwerk geplant, das sofort und vollständig mit Wasserstoff betrieben werden kann. Ergänzend will die Bundesregierung auch 500 MW Leistung für Strom-Langzeitspeicher ausloben.

Aber diese Instrumente und Leitplanken stellen die Zielerreichung noch nicht sicher. Momentan ist nur klar, dass die Produktionskapazitäten in Deutschland enorm ausgebaut werden müssen. Das heißt: Zubau an Elektrolyseuren, um den Bedarf zu decken, den der Nationale Wasserstoffrat bei grünem Wasserstoff für Jahr 2030 mit 53 bis 90 Terawattstunden prognostiziert. Dies sei zum Erreichen der Klimaschutzziele notwendig.

Zielzahlen sind zunächst nur blanke Theorie. In der Praxis ist aktuell Nachfrage in größerem Umfang von seitens der Stahlindustrie erkennbar, bei den Gaskraftwerken aber noch nicht. Laut SZ „verschiebt die Kraftwerkstrategie des Bundes den Umstieg auf Wasserstoff bis in die späten Dreißigerjahr und damit die Nachfrage nach dem nötigen Brennstoff“.  Bislang aber nur ein Bruchteil der Erzeugungskapazität gebaut oder zumindest in Planung. Zusätzlich zur Eigenproduktion muss deshalb Wasserstoff importiert werden, und zwar mehr als die Hälfte des Bedarfs im Jahr 2030, auch in der Erwartung, dass diese Importe günstiger kommen als die Produktion im Lande.

Woher kommt das grüne Gas?

Nach einer Studie der Agora Energiewende könnten Mitte der 2030er Jahre könnten rund 60 bis 100 Terawattstunden (TWh) grüner Wasserstoff aus benachbarten Ländern eingeführt werden. „Damit ließe sich ein wesentlicher Teil des von der Bundesregierung für 2030 angegebenen Neubedarfs an Wasserstoff und Derivaten decken.“ Der Import per Pipeline sei dabei die günstigere Variante gegenüber den Tankern. Als Varianten beim Transport per Schiff stehen noch wenige spezielle H2-Tanker und Ammoniak-Tanker zur Verfügung. Der Flüssigwasserstoff wird nahe der Verdampfungstemperatur, bei minus 250 Grad transportiert. Durch die unvermeidbare Erwärmung auf dem Transportweg geht allerdings Wasserstoff verloren. Im zweiten Fall muss das im Ammoniak gespeicherte H2 dann wieder durch Cracken zurückgewonnen werden: ein Vorgang, der ebenfalls mit Verlusten verbunden ist.  

Agora-Energiewende kommt zu folgender Bewertung der Importmöglichkeiten: „Der entscheidende Nachteil von schiffsbasierten Transportoptionen gegenüber Pipelines ist hingegen eine deutlich niedrigere Effizienz. Die zum Transport per Schiff nötige Umwandlung des Wasserstoffs in Derivate und die Rückumwandlung sind mit hohen Energieverlusten verbunden. Die dafür notwendige Technik, zum Beispiel Ammoniakcracking, wurde bisher noch nicht großskalig demonstriert, so dass auch technische Risiken eine Rolle spielen. Der Wasserstofftransport per Pipeline ist hingegen mit sehr geringen Energieverlusten verbunden und technisch ausgereift.“

Liefer-Kandidaten im Süden sind nach dieser Studie im Süden die Länder Spanien und Tunesien auf der Basis von Sonnenstrom, im Norden Dänemark und Norwegen auf der Basis von Windstrom. Bundeskanzler Scholz und die italienische Ministerpräsidentin Meloni einigten sich im November 2023 auf Kooperation bei einem Pipelineprojekt, das Nordafrika, Italien, Österreich und die Schweiz mit dem Bundesland Bayern verbinden soll. Aber diese sogenannten „Partnerschaften“ mit mehr als 20 Ländern weltweit sind noch keine Verträge, sondern nur Absichtserklärungen. 

Der Markt und der Preis entscheiden

Das Manko an diesen Ausbauplänen besteht darin, dass inzwischen zwar eine ganze Reihe von Pilot- und Modellprojekten existieren, aber sich bislang noch kein nennenswerter Markt entwickelt hat. Die Wasserstoff-Technologien dürften noch längere Zeit teuer sein. Letztlich ist aber der Abnahme-Preis für diesen „Champagner der Energiewende“ entscheidend. Die Bundesregierung versucht nun mit finanzieller Förderung den Aufbau einer Infrastruktur voranzutreiben. Im Juli hat Bundesminister Habeck Förderbescheide über 4,6 Mrd. Euro an rund 20 Unternehmen übergeben, die Leitungen, Wasserstoff-Produktionsanlagen oder Speicher bauen wollen.

Wasserstoff hat also Zukunft in Deutschland. Letztlich sind grüner Wasserstoff und die damit verbundenen Techniken alternativlos auf dem Weg zur Klimaneutralität. Der Zug ist bereits aufs Gleis gesetzt. Obwohl Ziele, Rahmenbedingungen und Umsetzungsstrategie geklärt sind, wird es wohl noch etwa 15 Jahre dauern, bis dieses „grüne“ Gas dem fossilen Erdgas ernsthaft Konkurrenz macht. (rk)    

Quellen:

„Woher Wasserstoff kommen könnte“, Michael Bauchmüller, Süddeutsche Zeitung, 04.07.2024

„Deutschlands Wasserstoff-Zukunft: Europäische Pipelines als Schlüssel“, Pressemitteilung der Agora Energiewende, 04.07.2024

„Wasserstoffimporte Deutschlands. Welchen Beitrag können Pipelineimporte in den 2030er Jahren leisten?“, Studie der Agora-Energiewende, Juni 2024

„Wie die Energiewende vorankommt“, tagesschau.de, 07.08.2024

klimaseite.info, 29.06.2024

Nach Umsatzeinbruch der Pandemiejahre erholt sich die Kreuzfahrtbranche wieder. Letztes Jahr waren fast drei Millionen Deutsche auf großer Fahrt. Da in den letzten Jahren das Bewusstsein für die Klimakrise weiter gewachsen ist, sind Unternehmen und Reiseveranstalter sehr um ein grünes Image bemüht. Es gilt, den ramponierten Ruf der Kreuzfahrten aufzubessern. Die Internationale Seefahrtorganisation hat denn auch das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ausgegeben. In 26 Jahren klimaneutral? Davon ist man aktuell nicht bloß nach Jahren weit entfernt. Das hindert die Branche aber nicht daran, unverdrossen Erfolgsmeldungen abzusetzen, wie etwa bei der Jungfernfahrt von „Mein Schiff 7“ der TUI Cruises, die „unvergessliche Genussmomente“ verspricht und stolz darauf verweist, das Schiff, ausgelegt für 2.900 Gäste, werde künftig „mit grünem Methanol“ betrieben.

Die Gegenwart ist allerdings eher trist und grau. Momentan fährt das Schiff mit einem fossilen Treibstoff, nämlich Marinediesel, einem fossilen Treibstoff, bei dessen Verbrennung im Motor jede Menge Treibhausgasgase frei werden. Häufiger als der Marinediesel kommt in der Schifffahrt das schmutzigere Schweröl zum Einsatz, schlicht deshalb, weil es billiger ist. Die entstehenden Luftschadstoffe sind allerdings ein großes Problem. Denn bei diesem Treibstoff gehen Ruß, Feinstaub, Stickoxide und Schwefelverbindungen durch den Schornstein, es sei denn, sie werden durch sogenannte „Scrubber“ ausgewaschen. Wenn diese Brühe allerdings einfach ins Meer abgelassen wird, wie das nach häufig geschieht, leidet die Umwelt trotzdem. Zwar verfügt ein Großteil der Kreuzfahrtschiffe tatsächlich über solche Scrubber, aber nur ein Teil entsorgt die Waschflüssigkeit ordnungsgemäß an Land. Momentan ist es nicht weit her mit sauberen Antrieben und Treibstoffen, denn auch bei TUI Cruises liegt der Schweröl-Anteil bei 65 %, bei der Branchengröße MSC sogar bei 75 %.

Beim TUI Schiff 7 sind im Maschinenraum zwar einige Rohleitungen für Methanol installiert, aber die für diesen Treibstoff vorgesehenen Viertaktmotoren befinden sich noch in der Entwicklung und werden wohl erst Anfang 2026 eingebaut. Sollte sich diese Technik bewähren, überlegt man bei TUI, die Schiffe 1 bis 6 entsprechend umzurüsten. AIDA Cruises fährt mit Flüssigerdgas, das zwar weniger Luftschadstoffe verursacht als die Diesel-Variante, aber ebenfalls das Klima schädigt. Beide Unternehmen hatten ursprünglich ambitioniertere Klimaziele: Klimaneutralität bis 2040. Inzwischen will man sich aber bis 2050 Zeit lassen. Das Unternehmen MAERSK, dessen Containerschiffe Güter auf allen Weltmeeren transportieren, ist an dieser Stelle ehrgeiziger und bleibt bei 2040 als Zieljahr für die Klimaneutralität.

Großtechnisch stammt Methanol als wichtiger Grundstoff der chemischen Industrie überwiegend aus fossilen Quellen. Ausgangspunkt ist eine Mischung aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff als Synthesegas. „Grünes“ Biomethanol aus Pflanzenresten (Zuckerrohr) wird in Brasilien häufig als Fahrzeug-Treibstoff verwendet. Auch die Produktion von (dann klimaneutralem) Methanol aus Wasserstoff (via Elektrolyse mit Ökostrom) und Kohlendioxid ist möglich. Da es Methanol bereits Motoren antreibt, dürfte die Umsetzung auf die Anforderungen eines Kreuzfahrtschiffs kein Hexenwerk sein.

Der springende Punkt ist jedoch der Preis für den Treibstoff. Denn die Reedereien sind in einem harten Wettbewerb, der sie zwingt, genau zu überlegen, welchen Anteil der Mehrkosten sie den Kunden zumuten können. Gleichzeitig geht der Kreuzfahrt-Trend zu größeren Schiffen. TUI plant mit der „Intuition“ Serie für 4000 Passagiere. Klimawandel hin oder her – die Branche setzt auf Expansion und eine gute PR. Die Minderung der Treibhausgase hält allerdings nicht Schritt mit dieser Entwicklung und die Klimaneutralität lässt ohnehin noch lange auf sich warten. Somit ist aus Sicht des Klimaschutzes für die nächsten 10 Jahre von der Buchung einer Kreuzfahrt abzuraten.  Immer mehr Bewohner von Küstenstädten, die unter dieser Form des Massentourismus leiden, sehen das ähnlich. (rk)   

Quellen:

„Gesucht: klimaschonende Kreuzfahrten“, Lea Hampel/Sonja Salzburger, Süddeutsche Zeitung, 22./23.06.2024

 „Pack das Methanol in den Tank – irgendwann“, Antje Blinda, Spiegel online, 23.06.2024    

www.klimaseite.info, 20.06.2024

Die Regierungskoalition ist sich wieder mal uneinig. Diesmal geht es darum, wie das Geld in den nächsten Jahren zu verteilen ist. Seit Wochen wird über Wirtschaftshilfen und ein Investitionspaket der Bundesregierung diskutiert, um der schwächelnden Konjunktur auf die Beine zu helfen. Nachdem letztes Jahr das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,2 Prozent zurückging, stimmen die jüngsten Prognosen von Wirtschaftsforschern zwar etwas optimistischer. Drei Institute rechnen für 2024 mit einem Zuwachs des BIP zwischen 0,2 und 0,4 Prozent. Wenn es mehr sein soll, müssen jedoch zusätzlich staatliche Mittel eingesetzt werden, um die privaten Investitionen anschieben.

Vorbild könnte die USA sein, denn die Biden-Regierung hat im August 2022 ein riesiges Investitionsprogramm zum Ausbau von Infrastruktur, erneuerbaren Energien und Klimaschutz gestartet, das sich jetzt auszahlt, und auf das Wirtschaftsminister Habeck neidvoll blicken dürfte. Mit dem amerikanischen „Inflationsbekämpfungsgesetz“ werden 370 Mrd. Dollar für Energiesicherheit und Klimaschutz, außerdem 64 Mrd. Dollar für das Gesundheitswesen bereitgestellt: die „größte Investition gegen Erderwärmung in der US-Geschichte“ laut Tagesschau. Der Spiegel resümiert: „Der Inflation Reduction Act“ (IRA) hat zu einem massiven Anstieg der Investitionen in grüne Technologien in den USA geführt.“

Staatliche Töpfe sind leer

Und die Bundesregierung? Die fest eingeplanten 60 Mrd. Euro aus dem Topf nicht abgerufener Corona-Gelder konnten nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) überführt werden. Das Gericht sah hier die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse tangiert. Die Bundesregierung hat dann noch ein Bruchteil dieser Summe für Klimaschutzmaßnahmen, insbesondere Fördermittel für Heizungsumstellung und energieeffiziente Gebäude, für klimafreundliche Stahlproduktion, den Bau von Akkuspeicher- und Chipfabriken zusammengekratzt, wobei letztere nicht zwingend unter Klimaschutz zu subsummieren sind. Denn der KTF, aus dem auch Mittel für den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft flossen, ist zur eierlegenden Wollmilchsau geworden, aber dafür mittlerweile nicht genügend ausgestattet. Finanzminister Lindner aber will weder neue Steuern, noch will er neue Kredite aufnehmen und beharrt auf der Einhaltung der Schuldenbremse. Auf der anderen Seite werden die Rufe nach einen Konjunkturprogramm immer lauter; von Seiten der Wirtschaftsforscher, wie auch aus der Wirtschaft. 

Der Vorschlag der Industrie

Der Bundesverband der deutschen Industrie BDI schlägt nun ein Investitions-Paket von 400 Mrd. Euro verteilt auf 10 Jahre vor. Bei diesen Maßnahmen geht es bei weitem nicht nur industriespezifische Aspekte, sondern um eine breite Palette von Industriehilfen, Klimaschutz, Infrastrukturmaßnahmen und -man höre und staune- auch in die Bildung sollen Milliarden Euro fließen. Das sind Investitionen in die Zukunft und der BDI hat offensichtlich verstanden, dass es angesichts des Fachkräftemangels nicht angehen kann, dass 12 Prozent der Schulkinder die Schule ohne Abschluss verlassen, um nur eines die vielen Probleme im deutschen Bildungssystem zu benennen. Und so sollen die Investitionen eingesetzt werden:   

  • 101 Mrd. Euro im Bildungssektor
  • 158 Mrd. Euro in Verkehrsinfrastruktur (Schienen- und Straßenverkehr), davon allein 64 Mrd. Euro in den Ausbau des ÖPNV
  • 56 Mrd. Euro Gebäude und Wohnen (sozialer Wohnungsbau, Sanierung, Fernwärme etc.)
  • 23 Mrd. Euro Dekarbonisierung der Wirtschaft und grüne Technologien
  • 18 Mrd. Euro für Tank-, Ladeinfrastruktur und grüne Kraftstoffe
  • 20 – 40 Mrd. Euro für wirtschaftliche Unabhängigkeit bei Schlüsseltechnologien (Batterie, Mikroelektronik)      

Finanziert werden sollen diese rund 400 Mrd. Euro durch ein Sonderprogramm außerhalb des regulären Haushalts, ähnlich wie die 100 Mrd. Euro für Bundeswehr, Rüstung und nationale Sicherheit, also durch neue Schulden, die aber nicht unter die per Grundgesetz abgesicherte Schuldenbremse fallen. Finanzminister Lindner sperrt sich dennoch. Die Frage ist, wie lange noch seinen Widerstand durchhält. Das dürfte ein Thema bei den aktuellen Verhandlungen zum Haushalt 2025 werden.

Muss die Wirtschaft jetzt in die Presche springen?

Zwar hat der Sektor der Wirtschaft in den letzten Jahren das Limit des Klimaschutzgesetzes (KSG) nicht überschritten, aber Unternehmen und Verbände wissen, dass noch viel CO2 einzusparen ist bis zum Ziel der Klimaneutralität. Und sie müssen wohl auch einen zusätzlichen Beitrag für die Sektoren Gebäude und Verkehr liefern, die die Messlatte des KSG letztes Jahr erneut gerissen haben. Denn das kürzlich novellierte Klimaschutzgesetz erlaubt diese Quer-Verrechnung, die man „Lastenteilung“ nennen, aber auch als Abschieben der Verantwortung bezeichnen könnte. (rk) 

Quellen:

„Wirtschaftsforscher blicken zuversichtlicher auf die Konjunktur“, Der Spiegel online, 13.06.2024

„Industrie fordert Milliardentöpfe gegen Investitionstau“, Der Spiegel online, 12.06.2024

„Lindner gehen die Unterstützer aus“, Süddeutsche Zeitung, 13.06.2024

„Kongress verabschiedet Klima- und Sozialpaket“, tagesschau.de, 13.08.2022

„USA erleben Boom bei grünen Technologien, Der Spiegel online, 29.05.2024

klimaseite.info, 12.04.2024

Auch wenn das die verbliebenen 20.000 Beschäftigten der Branche nicht gern hören wollen: Der Ausstieg aus der Kohleverstromung ist der Schlüssel für Deutschland, die nationalen Klimaschutzziele für das Jahr 2030 zu erreichen, denn laut Umweltbundesamt macht die Kohlekraft 70 Prozent der CO2-Emissionen der Stromerzeugung aus. Zwar ist der Strom ist nur eine Energieform und Treibhausgase kommen aus mehreren Emissionssektoren, fossile Energieträger werden auch verbrannt in Motoren, Turbinen, Heizungen oder reinen Heizkraftwerken, aber an der Schlüsselstellung der Kohle ändert das nichts. Der hohe Emissionsanteil der Kohle ist auch insofern bemerkenswert, als Braunkohle und (importierte) Steinkohle in 2023 etwa ein Viertel zur gesamten Stromerzeugung beitrugen. Dieses ungünstige Verhältnis kommt nicht von ungefähr, denn die Energieerzeugung aus Stein- und erst recht aus Braunkohle führt zu sehr hohen CO2-Emissionen pro Kilowattstunde Strom, von den ebenfalls emittierten Luftschadstoffen gar nicht zu reden: Braunkohle: 1.137 g/kWh, Steinkohle 853 g/kWh gegenüber Erdgas 381 g/kWh. Die Verstromung von Braunkohle, von Greenpeace als der „schmutzigste Brennstoff der Welt“ bezeichnet, verursacht also fast dreimal so viel CO2 wie aus Erdgas. Zum Vergleich: Strom aus erneuerbaren Energien liegt bei den Emissionsfaktoren, ob aus Wasser-, Windkraft oder Photovoltaik, weit unter 100 g/kWh.

Gaskraft als das kleinere Übel

Darum wäre ein Ersatz von Kohlekraft- durch Gaskraftwerke mit einer nicht unerheblichen Einsparung an CO2 verbunden. 2018 war das letzte Jahr des Steinkohleabbaus in Deutschland, die Zechen wurden geschlossen. Wird 2030, wie von den Grünen gefordert, die Kohleverstromung eingestellt? Wann stehen die riesigen Schaufelbagger, die im Braunkohle-Tagebau enorme Löcher in die Landschaft reißen, still? Im Koalitionsvertrag hatten sich die drei Parteien der Ampelkoalition noch auf ein unverbindliches „idealerweise“ geeinigt, aber die Gesetzeslage fordert den Ausstieg erst mit Ablauf des Jahres 2038. Das Umweltbundesamt stellt jedoch unmissverständlich klar, dass der Kohleausstieg bis 2030 erforderlich ist, damit die Treibhausgase entsprechend dem Klimaschutzgesetz bis 2030 um 65 % reduziert werden können. In diesem Zusammenhang sind die Emissionen aus der Energieerzeugung zu halbieren. 

Aktuell ist jedoch auch klar, dass die erneuerbaren Energien (EE) die Lücke, die die Kohlekraft hinterlässt, nicht komplett schließen können, schon gar nicht bis 2030. Die Bundesregierung hat ein Ökostromziel von „nur“ 80 % vorgegeben und selbst das wird nicht leicht zu erreichen sein. Um den voraussichtlichen Strombedarf in sechs Jahren zu decken, der vermutlich um ein Drittel größer sein wird als die 450 Mrd. kWh von 2023, muss die Gasverstromung hochgefahren werden, zum einen zur Abdeckung der nötigen Strommengen, zu anderen zum Lastausgleich und zur Abdeckung der Nachfragespitzen im Süden. Denn gerade, wenn Stromspeicher fehlen und das Übertragungsnetz noch kräftig ausgebaut werden muss, geht es nicht nur um die bloße Strommenge. Gaskraftwerke können schneller hochgefahren werden und flexibler auf Engpässe reagieren als Kohlekraftwerke. Insofern drängt der Austausch der Reservekapazitäten gerade auf. Die Prognosen gehen allerdings auseinander, wie viele Gaskraftwerke mit welcher Leistung bis 2030 entstehen müssen. Das Energiewirtschaftliche Institut in Köln gibt 23 Gigawatt an, BDI Präsident Russwurm hält einen Zubau von 43 Gigawatt für notwendig, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Marktdurchdringung wird wesentlich vom Preis für Erdgas und vom CO2-Preis im europäischen Zertifikatehandel abhängen.    

Ökostrom wichtiger als Kohlestrom

2022 hatte die Kohlekraft noch einen Anteil von 33,2 % an der Stromerzeugung, wurde aber bereits damals vom Strom aus erneuerbaren Quellen mit einem Anteil von 46,3 % überflügelt. Ein ähnliches Bild bot sich 2023, dem bisherigen Rekordjahr der Ökostromerzeugung, mit einem EE-Stromanteil von 56,0 %, während der Kohlestromanteil auf 26,1 % sank. Nach einer im Internet verfügbaren Liste das Umweltbundesamts sind momentan noch 68 reine Braun- und Steinkohlekraftwerke mit einer Bruttoleistung von 36,5 Gigawatt in Betrieb. Laut Kohleausstiegsgesetz von 2020 soll die Kohle-Kraftwerksleistung 2022 auf 30 GW und 2030 auf 17 GW reduziert werden, der Ausstieg ist allerdings erst für Ende 2038 vorgesehen.

Große Energieversorger orientieren sich bereits neu. EnBW will bis Ende 2028 aus der Kohleverstromung aussteigen und investiert verstärkt in EE, so wie RWE. Diese Investitionen tragen nicht zur CO2-Minderung bei, sondern versprechen auch wirtschaftlichen Ertrag. Eine Studie über Kohlekraftwerke in über 70 Ländern kommt zu dem Ergebnis, dass 2.300 von 2.500 dieser Kraftwerke gewinnbringend ersetzt werden könnten, da Solarstrom und Windstrom fast überall günstiger zu produzieren sei. Auch für Deutschland wird bei der Investition von 120 Mrd. Euro für Photovoltaikanlagen, große Batteriespeicher und Windräder ein dickes Plus von 550 Mrd. Euro nach 30 Jahren prognostiziert. Mithin ist der Kohleausstieg aus der Sicht des Klimaschutzes und der Wirtschaftlichkeit geboten.  (rk) 

Quellen:

„Raus aus der Kohle – und dann?“, Nakissa Salavati, Süddeutsche Zeitung, 05.04.2024  

„Stromerzeugung 2023“, Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 087 vom 07.03.2024

„Entwicklung der spezifischen Treibhausgas-Emissionen des deutschen Strommix in den Jahren 1990 – 2022“, Climate Change, 20/2023,

Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau, Mai 2023

„Erneuerbare Energien deckten 2023 erstmals mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs, Pressmitteilung, bdew.de, 18.12.2023

„Kohlekraftwerke ersetzen lohnt sich“, tagesschau.de, 30.11.2023

„Treibhausgasminderung um 70 Prozent bis 2020: So kann es gehen!“, Positionspapier des Umweltbundesamts, September 2021

klimaseite.info, 22.03.2024

Die Bilanz der Weltwetterorganisation WMO für 2023 beunruhigt. WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo rief anlässlich der Präsentation des Berichts die „Alarmstufe Rot“ aus. Zum einen wurde ein Anstieg der globalen, mittleren Oberflächentemperatur um 1,45 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau gemessen. Damit wurde letztes Jahr das untere Limit, das sich die UN- Klimakonferenz 2015 in Paris setze, fast erreicht, wobei sich dieses Ziel auf den langjährigen Durchschnitt, nicht auf ein einzelnes Jahr bezieht. Außerdem listet der „Klimazustandsbericht 2023“ eine ganze Reihe von Extremwetterlagen, klimabedingten Naturkatastrophen und einschneidenden Entwicklungen auf, die in dieser Häufung auffällig sind: In der Antarktis schmolz das Meereis um 1 Million Quadratkilometer ab, was mit der ebenfalls gestiegenen Temperatur der Ozeane korrespondiert. Da sich Wasser bei Erwärmung ausdehnt, stieg auch der Meeresspiegel. Die Alpengletscher verloren Eis in einem nie dagewesenen Ausmaß und es war mit Abstand das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Folge der Hitze und langanhaltenden Trockenheit waren Dürren, Ernteausfälle und Waldbrände. Manche Regionen litten wiederum unter zu viel Regen und weiträumigen Überschwemmungen. Erschwerend hinzu kamen Hurrikans, Zyklone und Wirbelstürme, die ebenfalls große Schäden verursachten. Gleichzeitig wurde weltweit noch nie so viel CO2 ausgestoßen, wie 2023, womit wir bei der Ursache des Klimawandels wären. Der Ausbau der erneuerbaren Energien erreichte zwar ebenfalls Rekordniveau, aber solange die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger nicht sinken, geht die Erderwärmung weiter. (rk)

Quelle:

„So extrem war das Klima 2023“, Benjamin von Brackel, Süddeutsche Zeitung, 20.03.2024   

klimaseite.info, 26.03.2024

Es erinnert ein wenig an die DDR-Nostalgie und ist rational ebenfalls nur schwer zu erklären: die Kernkraft-Nostalgie. Letztes Jahr, bevor die letzten drei deutschen Atomreaktoren vom Netz gingen, war das Unken vor einem Blackout und Stromengpass unüberhörbar. FDP, CSU und CDU wollten nicht von der gefährlichen Technik lassen. Rückblickend und angesichts der Tatsache, dass der gefürchtete Notstand ausblieb, wird jetzt fleißig gestreut, dass Deutschland dafür massenhaft Atomstrom importieren musste. Tatsächlich wurden 2023 erstmal seit 2002 mehr Strom importiert als exportiert, nämlich 9 Mrd. kWh (von insgesamt 510 Mrd. kWh Netzstrom insgesamt), aber im europäischen Strommix. Zur Hälfte stammten die Stromimporte aus erneuerbaren Quellen und nur zu einem Viertel Atomstrom. Ohnehin trugen die verbliebenen Reaktoren 2022 nur noch 6,4 Prozent zur Bruttostromerzeugung bei, 2023 nur noch 1,5 Prozent: ein nicht vernachlässigbarer, aber durchaus ersetzbarer Beitrag.

Angeschoben von Frankreich haben sich jüngst die europäischen Staaten zusammengefunden, die neue AKWs bauen wollen. Die Pro-Allianz wächst angesichts des fortschreitenden Klimawandels, verspricht die Kernkraft doch nahezu CO2-freien Strom. Allerdings kann man hier von Klimaneutralität nur reden, wenn die grauen Emissionen aus der Gewinnung und Aufbereitung von Uran, dem Bau der Reaktoren und der Herstellung der technischen Komponenten unterschlagen werden.          

Die Nostalgie kleidet sich in das Gewand der Innovation. Startups forschen fieberhaft nach neuen Reaktorkonzepten und scheitern reihenweise auf dem Weg vom Konzept über erste Prototypen zur Realisierung auf dem Markt. Aber nicht durchgängig. In Rumänien werden jetzt sechs kleine Nuklearreaktoren (Small Modular Reaktor SMR) gebaut. Sie sollen zeigen, dass ortsnahe Stromerzeugung aus Kernkraft mit diesen Typen machbar und ungefährlich ist. Der Bürgermeister ist euphorisch, die Einwohner reagieren eher skeptisch.  

Denn was die Befürworter einfach nicht sehen wollen: Kaum einer will einen Atomreaktor in seiner Nähe haben und für das Endlager gilt das Gleiche. Der zweite blinde Fleck bezieht auf die Gestehungskosten des Atomstroms. Aktuell ist das so ziemlich die teuerste Methode der Stromproduktion, wenn die AKWs neu gebaut werden. Aufgrund der hohen Sicherheitsstandards und langer Bauzeiten muss die Stromerzeugung teurer kommen als die von großen Photovoltaikanlagen oder Windkraft an Land. Neben der Unterscheidung, ob der Atomstrom aus alten und neuen Anlagen stammt, gibt es hier noch eine weitere Grauzone: die Folgekosten wie Umwelt-, Gesundheitsschäden und Entsorgung, die in Deutschland ja noch ungeklärt ist. Nach Angaben des Statistischen Bundesamt liegen die Folgekosten von Atomkraft im Vergleich zu anderen Energieträgern am höchsten.  

Und was die heiß diskutierten neuen Reaktorkonzepte angeht, hat das Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) in einer aktuellen Studie folgendes nüchternes Fazit gezogen: „In keinem der Länder ist ein Durchbruch abzusehen“. Jedenfalls nicht in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten. Auf die käme es aber an, wollte man dem Klimawandel mit Atomkraft wirksam begegnen. Wenn es länger dauert, kommt vielleicht schon der Fusionsreaktor ins Spiel und diese Technik verspricht Stromerzeugung ohne die Gefahr eines nuklearen GAUs und ohne Endlagersorgen. (rk)

Quellen:

„In keinem der Länder ist ein Durchbruch abzusehen“, Michael Bauchmüller, Süddeutsche Zeitung, 22.03.2024

„Analyse und Bewertung des Entwicklungsstands, der Sicherheit und des regulatorischen Rahmens für sogenannte neuartige Reaktorkonzepte“,

Ökoinstitut. e.V., TU Berlin, Physikerbüro Bremen, Berlin März 2024

„Der Traum von den Mini-Akw“, tagesschau.de, 21.03.2024

„Eine Allianz für Kernkraft in Europa, tagesschau.de, 21.03.2024

Statistisches Bundesamt, statista.de

klimaseite.info, 24.01.2024

In der langen Reihe von inzwischen 28 UN-Klimaschutzkonferenzen gibt es leider wenig Highlights. Als solches zu benennen wäre die COP15 in Paris mit der gemeinsamen Zielsetzung, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius, maximal aber auf 2 Grad zu begrenzen. Die letzte Veranstaltung in dieser Reihe, die COP28 in Dubai, stand schon aufgrund der Präsidentschaft von Al Jaber, dem Energieminister der Vereinigten Arabischen Emirate und CEO eines großen Ölkonzerns, unter keinem guten Stern. Erschwerend hinzu kamen die Kriege in der Ukraine und Israel hinzu, die nach der Flaute während der Corona-Pandemie die Nachfrage nach Erdöl und Erdgas weltweit anheizten.

Obwohl längst klar ist, dass schnell Schluss sein muss mit der Förderung und Verbrennung fossiler Energieträger fuhren die großen Ölkonzerne letzte Jahr Milliardengewinne ein. Die Anteilseigner der fünf größten börsennotierten Ölunternehmen der Welt – BP, Shell, Chevron, ExxonMobil und TotalEnergies – können für 2023 mit 100 Milliarden US-Dollar (90 Milliarden Euro) Dividende rechnen. Das entspricht zufällig der den Entwicklungsländern schon lange zugesagten Summe an internationaler Hilfe für Klimaschäden. Nach Spiegel-Recherche haben sechzig Banken zwischen 2016 und 2022 mit rund 1,8 Billionen Dollar (umgerechnet rund 1,7 Billionen Euro) internationale Kohle-, Öl- und Gaskonzerne finanziert. Der überwiegende Teil davon waren Kredite zur Förderung fossiler Rohstoffe.

Während UN-Generalsekretär Antonio Guterres auf der COP28 die Vertreter von fast 200 Staaten wieder einmal beschwört („Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens“), während die CO2-Konzentration in der Atmosphäre die neue Rekordhöhe von 420 ppm erreicht, entschwindet das 1,5-Grad-Ziel. Indes wollen viele Politiker und Bürger gerne glauben, die Welt hätte noch Zeit für den Ausstieg aus fossilen Energien, idealerweise bis Mitte des Jahrhunderts, aber davon kann natürlich gar keine Rede sein, Förderung und Verbrauch müssen sofort radikal heruntergefahren werden. Bei den 1,5 Grad Celsius als Maximum der Erderwärmung geht es um Jahre, nicht um Jahrzehnte. Aber auch die Deutschen setzen weiter auf die Fossilen, beim Kauf von Gasheizungen oder Autos mit Verbrennungsmotor. Und diese Neuanschaffungen werden rund 20 Jahre im Einsatz sein. Das wissen Förderländer, Investoren und Ölkonzerne. Diese Tatsache sichert den Absatz der fossilen Brennstoffe und Kraftstoffe auf lange Zeit. Und so musste schon als Erfolg verbucht werden, dass die COP28 erstmals in einem Abschluss-dokument der Weltklimakonferenz die grundsätzliche Abkehr von fossilen Energieträgern beschloss, wobei der Ausstieg nicht terminiert werden konnte.

Genau dagegen hatten sich nämlich 22 erdölexportierende Staaten noch während der Konferenz ausgesprochen. Vor dem Hintergrund des Marktgeschehens (siehe oben) darf ohnehin skeptisch sein, ob der Ausstieg in den nächsten 20 bis 30 Jahren gelingen kann, obwohl auf vielen Anwendungsfeldern alternative, fossilfreie Techniken zur Verfügung stehen. Wie erwähnt, begibt sich die Weltwirtschaft derzeit weiter in fossile Abhängigkeiten. Die Nachricht, dass die nächste UN-Klimaschutzkonferenz COP29 Ende des Jahres erneut von einem Ölförderland, nämlich Kasachstan, ausgerichtet wird, stimmt natürlich auch nicht gerade optimistisch.  (rk)

Quelle: Susanne Götze, SPIEGEL Klimabericht, 03.11.2023

klimaseite.info, 07.04.2023

Die mittlere Erderwärmung gegenüber vorindustrieller Zeit beträgt laut dem jüngst veröffentlichten Synthesebericht des Weltklimarats IPCC 1,1 Grad. Die World Meteorogical Organization WMO gibt auf seiner Website eine Temperaturerhöhung von 1,14 Grad Celsius im 10-Jahres-Durchschnitt für den Zeitraum 2013-2022 gegenüber im Vergleich zur vorindustriellen Basislinie von 1850-1900 an. Beide Werte weisen ein Plus/Minus hinter dem Komma auf, aber wesentlicher als diese Unschärfe beim Anstieg der globalen Mitteltemperatur sind die großen Unterschiede zwischen den Ländern je nach Breitengrad. Während für Deutschland bereits plus 1,7 Grad Celsius zu Buche schlagen sind weiter nördlich bis zu plus drei Grad.

  • Nach derzeitigem Trend, mit den aktuellen Aktivitätsniveau der Staaten, ist laut Weltklimarat eine Erderwärmung von 3,2 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts zu erwarten.
  • Bereits bei 3 Grad Celsius Temperaturanstieg ist unter anderem eine Verdoppelung bis Verdreifachung der hitzebedingten Todesfälle in Europa zu befürchten.
  • Selbst wenn international alle Zusagen eingehalten würden (und danach schaut es nicht aus), muss man mit einer Erderwärmung von 2,5 Grad rechnen.  
  • Der Meeresspiegel steigt immer schneller; die Geschwindigkeit hat sich seit 1900 durch die Erderwärmung auf 3,7 mm pro Jahr verdreifacht.
  • Bereits bei 2 Grad Erderwärmung wird in Südeuropa ein Drittel der Bevölkerung von Trinkwasserknappheit betroffen sein. Auch die Landwirtschaft und Gartenbau wird darunter leiden.
  • Bei einem Temperaturanstieg über 3 Grad Celsius würden sich die Schäden durch Küstenüberflutung bis Ende des Jahrhunderts mindestens verzehnfachen.
  • Ökosysteme wie Regenwälder, Feuchtgebiete und Korallenriffe können sich vermutlich nicht schnell genug anpassen und drohen zu verschwinden. 

Das Gros der durchgerechneten Klimaszenarien ergibt eine mittlere Erderwärmung zwischen 1,8 und 3,9 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts. Das heißt, der Temperaturanstieg wird mit großer Wahrscheinlichkeit innerhalb dieser Spannen liegen. Heißt auch: Das 1,5 -Grad-Ziel von Paris kann wahrscheinlich nicht erreicht werden. Dafür müssten die globalen Treibhausgase schon bis 2030 um 45 % reduziert werden, bis 2035 um zwei Drittel bis zur Mitte des Jahrhunderts um 100 %. Das sind die Notwendigkeiten, über die Politik global und in Deutschland gerne hinwegsieht. Der IPCC moniert außerdem, dass immer noch mehr Geld in fossile Energie und fossile Infrastruktur fließt als in Klimaschutzmaßnahmen.

Der Weltklimarat wurde 1988 von der World Metereological Organization WMO und der UN-Umwelt-organisation UNEP gegründet, fasst regelmäßig die wissenschaftlichen Kenntnisse über den Klima-wandel in Berichten zusammen, die unter anderem auch als Grundlage für die UN-Klimakonferenzen dienen. Der nächste, der 7. Bericht Assessment Report wird in Teilberichten voraussichtlich ab 2027 erscheinen. (rk)

Quelle: „Bangen um das 1,5 Grad-Ziel“, Christoph von Eichhorn, Süddeutsche Zeitung, 21.03.2023